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Im hohen Gras

Im hohen Gras

Titel: Im hohen Gras
Autoren: S King
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geholt. Die Sterne am Rand ihres Gesichtsfeldes verblassten. Plötzlich hatte sie wieder einen klaren Kopf, so als hätte ihr jemand Eiswasser ins Gesicht gespritzt. Sie holte aus und rammte ihm den Schlüssel ins Auge. Ihre Knöchel schrammten über sein Nasenbein. Der Schlüssel durchstach die Hornhaut und bohrte sich ins flüssige Innere des Augapfels.
    Er schrie nicht, sondern stieß lediglich einen hundeartigen Laut aus, ein bellendes Grunzen, während er Becky nach rechts zerrte, um sie von den Beinen zu reißen. Seine Unterarme hatten zu viel Sonne abbekommen – die Haut schälte sich dort bereits ab. Aus der Nähe konnte Becky erkennen, dass es seiner Nase nicht besser erging. Er zog eine Grimasse und entblößte dabei Zähne, die rosa und grüne Flecken hatten.
    Sie ließ den Schlüsselbund los. Er baumelte weiter in der Augenhöhle; die anderen Schlüssel stießen klimpernd aneinander und schlugen ihm gegen die stoppelige Wange. Die ganze linke Seite seines Gesichts war blutüberströmt, das Auge nur noch ein flimmerndes rotes Loch.
    Das Gras um sie herum bog sich herab. Der Wind wurde stärker, und die hohen Halme peitschten Becky über den Rücken und die Beine.
    Humbolt rammte ihr das Knie in den Bauch. Es fühlte sich wie ein Schlag mit einem Holzknüppel an. Becky verspürte Schmerzen und noch etwas Schlimmeres, weiter unten, wo ihr Bauch in die Leistengegend überging. Die Muskeln zogen sich zusammen, als befände sich in ihrer Gebärmutter ein verknotetes Seil, das jemand gerade straff angezogen hatte, straffer als eigentlich vorgesehen.
    »O Becky! Mein Mädchen! Dein Arsch – dein Arsch ist Gras!«, schrie er. In seiner Stimme schwang wahnsinnige Heiterkeit mit.
    Noch einmal rammte er ihr das Knie in den Bauch und dann ein drittes Mal, wobei er jedes Mal eine schwarze, giftige Explosion auslöste. Er bringt das Kind um, dachte Becky. Etwas rann an der Innenseite ihres linken Beins hinunter, ob Blut oder Urin, hätte sie nicht sagen können.
    Sie tanzten miteinander, die schwangere Frau und der einäugige Verrückte. Sie tanzten im Gras, die Füße im Morast, seine Hände um ihren Hals. Gemeinsam taumelten sie im Halbkreis um die Leiche von Natalie Humbolt herum. Becky erhaschte immer wieder einen Blick auf die blassen, blutigen Oberschenkel, auf den zerknitterten Jeansrock, auf Natalies entblößten Omaschlüpfer, der voller Grasflecken war. Und auf ihren Arm – Natalies Arm, der hinter Ross Humbolt im Gras lag. Natalies schmutziger, abgetrennter Arm (wie hatte er das nur geschafft – herausgerissen wie ein Hühnerbein?) mit den schmutzigen, rissigen Fingernägeln.
    Becky warf sich mit ihrem ganzen Gewicht auf Ross. Er wich einen Schritt zurück und trat dabei auf den Arm, der aber unter seinem Absatz wegrutschte. Er stieß einen wütenden Schrei aus und fiel hintenüber, wobei er sie mit sich zog. Ihren Hals ließ er erst los, als er auf dem Boden aufschlug und seine Zähne mit einem lauten Klacken aufeinanderknallten.
    Sie landete auf seiner massigen Wampe vergleichsweise weich, rollte von ihm herunter und krabbelte auf allen vieren ins Gras hinein.
    Nur dass sie sich nicht schnell bewegen konnte. In ihren Eingeweiden pochte ein entsetzlicher Schmerz, und ihre Bauchdecke war so angespannt, als hätte sie einen Medizinball verschluckt. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben.
    Er packte sie am Fußgelenk und zog daran. Sie fiel flach auf den Bauch, und ein stechender Schmerz fuhr ihr durch den Unterleib, als wäre dort etwas geplatzt. Ihr Kinn schlug in das nasse Gras. Schwarze Punkte tanzten ihr vor den Augen.
    »Wohin willst du fliehen, Becky DeMuth?« Ihren Nachnamen hatte sie ihm nie gesagt. Er konnte ihn unmöglich kennen. »Ich finde dich überall wieder. Das Gras wird mir zeigen, wo du dich versteckst, ein kleines tanzendes Männlein wird mich zu dir führen. Komm her. Du musst nicht mehr nach San Diego fahren. Was mit dem Kind passiert, steht nicht mehr zur Debatte. Das hat sich alles erledigt.«
    Sie blinzelte. Vor sich auf dem niedergetretenen Gras sah sie eine Damenhandtasche liegen, deren Inhalt überall verstreut war. Und mittendrin entdeckte sie eine Fingernagelschere – eher eine Kneifzange denn eine Schere. Die Scherenblätter waren mit Blut verklebt. Sie wollte nicht darüber nachdenken, was Ross Humbolt aus Poughkeepsie damit angestellt hatte oder was sie damit machen würde.
    Trotzdem schloss sie die Finger darum.
    »Ich hab gesagt, du sollst herkommen«,
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