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Im Café der moeglichen Traeume

Im Café der moeglichen Traeume

Titel: Im Café der moeglichen Traeume
Autoren: Paola Calvetti
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Tasche. Die andere Hand steckt steif wie eine Harke in einem Wollhandschuh, aus dem vier Finger herausschauen, und reckt sich im Vertrauen auf das gute Herz der Passanten vor.
    Der beste Ort, um Geld zu sammeln, ist das nicht, Alter, du sitzt ja mehr oder weniger im Schatten. Noch während ihm dieser dämliche Gedanke in den Kopf schießt, blitzt der Bettler ihn an. Seine Augen sprechen eine deutliche Sprache: »Du hast die übertriebene Neigung, Junge, mit unerbetenen Lösungen aufzuwarten; hier kommen jede Menge Leute vorbei, aus dem Gitter steigt warme Luft auf, und dieses Fleckchen ist die einzige Stelle auf dem gesamten Bürgersteig, die trocken geblieben ist, also zieh Leine.«
    Mag sein, aber was ist mit dem fünften Finger? In einer Presse abgequetscht? Manische Ehefrau, mit einer Axt bewaffnet? Entfernung falsch eingeschätzt?
    Peinlich berührt von seiner eigenen Arroganz und der Gewohnheit, auf jeden Menschen Kurzfilme eines unglücklichen Lebens zu projizieren, wühlt Diego in den Hosentaschen, legt einen Schein in diese Finger und schiebt die Tür zum Händler seines Vertrauens auf. Der Tabakverkäufer mit der Halbglatze, der für einen kundenorientierten Job vielleicht zu mürrisch ist, verkauft als Einziger in der Gegend die kubanischen Puros, die für Diego die Zigaretten ersetzt haben. Seit über elf Monaten hat er keine mehr geraucht.
    Elf Monate und einundzwanzig Tage, um genau zu sein. Im Dezember hatte er aufgehört.
    Ein Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte.
    Er tritt ein. Ihm gefällt die Bar Tabacchi in der Nähe seiner Kanzlei. Sie ist eine Zeitmaschine, die ihn in die Vergangenheit zurückkatapultiert. Alles scheint einem Song von Tom Waits entsprungen: Kinder mit übersprudelndem Temperament, Schnodder am Kinn und lustigen Flügelchen am Mantel, kräftige junge Männer mit einem Hang zum Geheimnisvollen, kleine Frauen, die nervös mit ihren Lottoscheinen herumwedeln, altmodische Reklameschilder für Biersorten und ganze Kaskaden an Glückslosen. Genau der richtige Tag, um eines zu kaufen, denkt er, zahlt seine Zigarren und eilt in Vorfreude auf die heiße Dusche zu Hause zum Ausgang.
    Der Sack in seinen schlabbrigen Kleidern ist noch da, im Mundwinkel hängt eine Zigarette. Als Diego ihm ein zweites Mal etwas geben will und schon den Arm ausstreckt, fährt plötzlich der gelbe Lieferwagen, der quer auf dem Gehweg parkt, mit quietschenden Reifen los. Auf dem Asphalt bleiben, wie betäubte Schmetterlinge, ein Blatt Papier und ein Polaroidfoto zurück. Instinktiv bückt er sich und hebt sie auf, um sie dem Bettler zu geben, damit sie nicht vollkommen durchweichen, aber der Alte hockt da wie eine lebende Statue und starrt ihn an wie ein widerliches Insekt, das in seine Suppe gefallen ist. Wieder sprechen seine Augen Bände: »Das geht mich nichts an, und wenn du keine Knete mehr rausrücken willst, verschwindest du besser.« Diego kann es kaum erwarten, dieses Elend hinter sich zu lassen, und legt dem Mann mit einem idiotischen Grinsen das Glückslos in die Hand. »Auf Wiedersehen, mein Lieber, ich hoffe, das neue Jahr …« Und wenn er es gar nicht mehr erlebt? Oder wenn er sogar Weihnachten betteln muss? Und wie wäre es, Diego, wenn du einfach mal lernen würdest, dich um deine eigenen Angelegenheiten zu kümmern und dich nicht jedes Mal schuldig zu fühlen, wenn du irgendwelchen unglücklichen Kreaturen über den Weg läufst?
    Die U-Bahn-Station ist nur wenige Schritte entfernt. Er steigt hinab, zwischen Tausenden von Schirmen, die sich beim Schließen wie Hunde nach dem Bad schütteln. Jeder Zentimeter im U-Bahn-Waggon ist mit nassen Körpern besetzt, die zu einem bunten Ganzen verschmelzen. Es ist eiskalt. »Die Heizung ist kaputt, das hat mir gerade noch gefehlt«, nuschelt eine Frau, die ins Leere starrt und ihm ständig ihre Päckchen gegen die Hüfte knallt.
    Â»Gott sei Dank, dass ich dieses Eisfach nach drei Stationen verlassen kann«, wiederholt sie wie eine kaputte CD . Diego hat zwölf Stationen vor sich und nicht einmal etwas zu lesen dabei. Er steckt die Hand in die Tasche. Auf dem Zettel, einem edlen, elfenbeinfarbenen Bogen Papier, stehen ein paar handgeschriebene Worte.
    Ermutigt
    Von verwirrten Engeln,
    Lasse ich mich vom Schlaf überwältigen
    Auf diesem Friedhof der Erinnerungen,
    Wo majestätische, staunende Zypressen
    Nahrung
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