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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
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wollte ich auch. Fußball interessierte mich nicht die Bohne. Heimlich guckte ich nachts immer die NBA-Finalspiele im TV. Mein Lieblingsspieler war Shaquille O’Neal von den Orlando Magic. Ich kaufte mir sein Trikot und trug es von da an jeden Tag – über ein halbes Jahr lang. Als ich eines Nachmittags zum Basketballplatz um die Ecke an der Osdorfer Straße lief, spielte dort wie immer der Araber Bilal mit seiner Familie und seinen Freunden. Ich sah sie schon von Weitem auf dem Platz herumdribbeln. Als ich ankam, stellte ich mich an den Zaun, steckte meine Nase durch die Maschen und guckte begeistert zu. Sie versuchten, mich so schnell wie möglich zu verjagen.
    »Hau ab. Verpiss dich, du deutsche Kartoffel«, rief mir Bilal zu und fuchtelte drohend mit der Faust in meine Richtung. Aber ich sah das gar nicht ein.
    »Nö. Ich bleib hier. Ich guck ja nur«, konterte ich.
    »Hier wird nicht geguckt«, schrie er mich an. Mit zwei breiten Kumpels kam er auf mich zugerannt und gab mir durch den Zaun eine krasse Schelle. Mein Kopf flog wie ein Basketball nach hinten, so fest schlug der Typ zu. Die Ansage war klar: Sie wollten mich nicht dabeihaben. An diesem Tag ging ich. Doch am nächsten kam ich wieder. Bilal und seine Gang wurden nicht müde, mir klarzumachen, dass ich bei ihnen nicht erwünscht war. Ich nervte sie tierisch.
    »Wir brauchen hier keinen Deutschen«, erklärten sie mir gebetsmühlenartig und gaben mir immer wieder einen Korb. Bis es ihnen eines Tages zu dumm wurde und sie sich geschlagen gaben: »Du hast echt Eier in der Hose. Wir haben dich geschlagen, verjagt und beschimpft. Aber du bist immer wieder gekommen. Du kannst bleiben.« Wow, ich hatte es geschafft. Ich wurde geduldet, und das war für mich wie eine Art Ritterschlag und machte mich extrem stolz. Freunde wurden wir zwar nie – aber wenigstens durfte ich ab und zu mal einen Korb werfen und verbesserte so meine Basketball-Skills.
Familie Hoffmann – ein Stückchen heile Welt
    Im Erdgeschoss unseres Hauses wohnten die Hoffmanns. Sie waren vollkommen anders als wir. Eine richtige Familie mit vier Kindern:
    Sebastian, dem ältesten Sohn, und drei kleinen Töchtern, Nikola, Julia und Johanna. Die Mutter hieß Marianne, hatte lange braune Haare und warme Augen. Der Vater Arne war evangelischer Pastor, hatte eine Halbglatze und trug eine Brille. Er war total herzlich. Die ganze Familie war ziemlich christlich – bei den Hoffmanns in der Wohnung hingen überall Kreuze an der Wand. Die Zimmer waren geschmackvoll mit alten Möbeln eingerichtet und immer liebevoll dekoriert. Die Hoffmanns lachten viel und waren nie schlecht gelaunt. Mit ihrem Sohn Sebastian verstand ich mich am besten. Er war zwar ein wenig älter als ich und zwei Köpfe größer, aber das war nicht weiter schlimm. Ich fühlte mich nicht klein an seiner Seite, und meistens hatten wir total viel Spaß zusammen. Marianne meinte oft, ich sähe ihm ähnlich – wie ein Bruder.
    Und genau das war Sebastian auch für mich. Ich hing fast jeden Tag bei der Familie ab. Meine Mutter war froh, dass sie mich los war, und für mich war die Wohnung der Hoffmanns ein wunderbarer Zufluchtsort. Hier schien die Welt noch in Ordnung zu sein. Bei den Hoffmanns vergaß ich das Getto. Sie waren mein Versteck vor dem beschissenen Rest der Welt. Die Hoffmanns hatten zwar auch nicht viel Geld, aber ihre Kinder gingen alle aufs Gymnasium. Die ganze Familie war ziemlich schlau und gebildet. Und ich war stolz, mich wie ein Teil von ihnen fühlen zu dürfen. Zum ersten Mal hatte ich eine richtige Familie. Marianne hat nie gesagt, ich solle abhauen. Ich wurde ihr nie zu viel, obwohl ich fast täglich zum Essen blieb. Sie kochte immer frisch, weshalb die ganze Wohnung lecker duftete – und wie geil das Essen erst schmeckte!
    Irgendwie nach Geborgenheit. Marianne Hoffmann war eine tolle Hausfrau, und ich habe mich immer gefragt, warum sich meine Mutter kein Beispiel an ihr nehmen konnte. Vor den Mahlzeiten wurde bei den Hoffmanns gebetet, und manchmal nahmen sie mich sogar mit in die Kirche. Dort lauschte ich begeistert den Predigten von Arne. Für mich war das alles völliges Neuland. Meine Mutter glaubte ja nicht an Gott und interessierte sich null für die Kirche. Aber ich fand’s irgendwie schön. So beruhigend.
    In dieser Zeit las ich sogar manchmal in der Bibel. Die Hoffmanns hatten ihr ganzes Leben danach ausgerichtet, was mir besonders auffiel, wenn ich mit Sebastian durch die Siedlung lief. Einmal kamen
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