Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
Vom Netzwerk:
mit Anlauf durch die Lücke – wobei ich mit meinem rechten Bein am Stacheldraht hängen blieb. Aaaaaaautsch! Es tat höllisch weh, aber ich wollte nur noch weg von dem Gelände. Zeit für Selbstmitleid hatte ich jetzt nicht. Ich riss mein Bein mit Gewalt aus den Stacheln und zerfetzte mir dabei nicht nur die Hose, sondern auch mein Fleisch. Verwundet wie nach einer Kriegsschlacht, schleppte ich mich nach Hause. Ich wollte mich heimlich in mein Zimmer schleichen, doch meine Mutter hatte mich kommen hören.
    »Patrick, sag doch unseren Verwandten Guten Tag!«, säuselte sie überhöflich.
    »Ich komme gleich«, antwortete ich, während ich mir schon die blutige und zerrissene Jeans auszog. Die offene Wunde sah furchtbar aus. Eigentlich hätte sie genäht werden müssen, aber ich wollte auf keinen Fall, dass meine Mutter Wind von der Sache bekam. Das hätte nur wieder Ärger gegeben. Mit Toilettenpapier verband ich mir das Bein und zog mir eine neue Hose über. Die alte schmiss ich einfach aus dem Fenster. Bis heute weiß meine Mutter nichts von der Aktion. Aber die Narbe sieht man immer noch.
Rechts ist schwul!
    Wenn meine Mutter auf eine Idee kam, dann war die meistens nicht so gut. Aber eines Tages in den Sommerferien äußerte sie einen Wunsch, der ganz besonders beschissen war: Sie wollte unbedingt, dass ich einen Ohrring trage.
    »Patrick, das sieht so toll aus. Ich hab das bei so vielen Jungs gesehen. Alle werden neidisch sein«, schwärmte sie.
    »Nö, darauf habe ich keinen Bock«, erwiderte ich trocken und verschwand so schnell wie möglich in meinem Zimmer. Ich fand die Idee meiner Mutter völlig Banane. Ohrring? Ich? Niemals! Es war mir zwar nicht entgangen, wie hell die Augen meiner Mutter bei diesem Thema gestrahlt hatten, und irgendwie wünschte ich mir ja nichts sehnlicher, als dass sie eines Tages doch mal stolz auf mich wäre. Aber einen Ohrring wollte ich nun wirklich nicht.
    Mit einem kleinen Trick bekam mich meine Mutter dann zwei Tage später doch rum. Sie öffnete langsam die Tür zu meinem Zimmer, streckte ihren Kopf hinein und sagte fröhlich: »Okay, wenn du dir einen Ohrring machen lässt, dann kannst du dir im Spielwarengeschäft alles kaufen, was du willst! Egal, was. Ist das ein Deal?« Sie grinste durchtrieben. Ich überlegte kurz. In meinem Kopf gingen die wildesten Dinge vor sich.
    Ich sah alle möglichen Spielfiguren, Computer-Games und das original Knight-Rider-Auto aus der Serie vor meinem inneren Auge aufblitzen.
    Ich sah ein komplettes Spielzeug-Schlaraffenland vor mir, einen gigantischen Werbespot für hochtechnisierten Kinderkram. Wahnsinn! Und ich würde das ALLEShaben können! Ein paar Sekunden lang herrschte absolute Stille im Raum, weil ich ganz in meiner eigenen Welt versunken war. Dann sprach ich mein eigenes Todesurteil: »Okay, Mama. Ich mach’s!«
    Und schon am nächsten Tag marschierte meine Mutter mit mir zum Ohrlochschießen. Angst hatte ich keine, weil ich sowieso nur an das Spielzeuggeschäft denken konnte. Ich sah mich schon wie einen Verrückten durch die Gänge wirbeln, den Einkaufswagen randvoll mit geilen Sachen. Also setzte ich mich, ohne weiter darüber nachzudenken, auf den Ohrloch-Hinrichtungs-Stuhl und machte die Augen zu. Ich spürte, wie die Frau aus dem Laden mir etwas unangenehm Kaltes an die Haut hielt, und dann hörte ich nur noch ein lautes »Peng«! Genau in diesem Moment schoss ein spitzer Metallstecker wie eine Kanonenkugel durch mein Ohrläppchen. Aaaaauuuuuuuuu! Es tat wesentlich mehr weh, als ich erwartet hatte. Innerlich schrie ich, verzog nach außen aber keine Miene. Wie immer versuchte ich, so zu tun, als wäre ich vollkommen cool. Der Schock war schnell verflogen, und ich betrachtete das Ergebnis im Spiegel. Das Ohr war natürlich noch knallrot und angeschwollen.
    »Na ja, sieht ja ganz okay aus«, sagte ich trotzdem zu meiner Mutter. Sie strahlte zufrieden.
    »Du siehst super aus, Junge!« Sie streichelte mir über den Kopf, und ich war happy, weil sie happy war.
    Den dummen Ohrring hatte ich sowieso dreißig Minuten später schon wieder völlig vergessen. Denn da stand ich dann mit meiner Mutter im Spielemaxx, dem absoluten Spielzeugparadies in unserer Gegend. Wow! Ich konnte haben, was ich wollte. Ein absoluter Traum! Ich ließ kein Regal unbeachtet und fasste alles an, probierte jeden Scheiß aus und war dabei völlig in meinem Element. Der Einkaufswagen wurde immer voller und voller. Bis ich auf einmal ein lautes »Stopp« in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher