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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Robert Walser
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nicht wahr« und will fortfahren: »ich bin nur zwanzig Minuten zu spät gekommen«), dann besinnen Sie sich noch, ob Sie arbeiten sollen, und schließlich wollen Sie noch aufbegehren. Das kann nicht mehr so weitergehen. Zeigen Sie, was haben Sie geleistet.« Und Hasler prüft mehr mit dem Kinn als mit den Augen, was jetzt Helbling anfangs getan hat. Er bemerkt drei Zahlen und den Versuch zu einer vierten. Ob das alles sei? Helbling sagt, er habe den guten Willen gehabt, zu arbeiten, aber wenn er keine rechten Federn mehr habe, so sei es schwer, vorwärts zu kommen. Dann solle er sich doch gefälligst, wenn es ihm etwa bald einmal passend erscheine, Federn anschaffen. Faule Ausrede. Und Hasler schwimmt in seine Festung zurück. Dort angelangt, zieht er einen Apfel aus dem Pult und arrangiert ein zweites Frühstück. Helbling nimmt Gelegenheit, schnell einmal »auszutreten«. Meier vom Land macht seine Kollegen auf Helblings »Austritt« aufmerksam.
    Volle dreizehn Minuten, es ist ihm genau nachgerechnet worden, ist Helbling »draußen« geblieben. Während dieser Zeit haben sich an die zehn jüngere und ältere Kollegen der Reihe nach an des Ausgetretenen Pult und Leistung herangemacht, um die drei Zahlen anzuschauen. Einen Moment später weiß es die ganze Buchhaltung, daß Helbling in einerStunde drei Zahlen fertigbringe, Meier vom Land ist von Pult zu Pult gegangen und hat die Sache zu allgemeiner Verbreitung gebracht. Einer geht »hinaus«, um zu sehen, was »er« mache. Später tritt dieser Er wieder ein.
    Inzwischen ist es halb zehn geworden. Von draußen her tönt eine helle, schöne weibliche Stimme in den Saal hinein, es ist anscheinend eine Sängerin, die übt. Ja, in der Nähe, so vielleicht zwei Häuser weiter dem Bahnhof zu, das kann stimmen. Einige von den Bureaulisten heben die Federhalter aufrecht und überlassen sich dem Genuß des Zuhörens. Helbling scheint auch wieder einmal musikliebend zu sein. Außerdem gähnt er jetzt mehrere Male. Eine Sekunde später tätschelt er sich mit der flachen Hand auf die Backe, um Zeit verstreichen zu lassen. Das Tätscheln erstreckt sich über zirka fünf volle Minuten. »Jetzt tätschelt er sich«, tuschelt Meier vom Land in das Ohr von Meier aus der Stadt. »Herrliche Stimme das, da draußen«, meint Glauser, einer der Arbeitenden. Die frauliche Singstimme ruft ein gewisses Geräusch im Saal hervor. Der Chef der Korrespondenz, Steiner, hört ebenfalls zu, und das will etwas heißen. Auf Haslers Treppenabsätzen von Lippen glänzt Apfelsaft wie auf wirklichen Treppen gelbes Wachs, das wischt er sich jetzt mit seinem rotgewürfelten Schnupftuch ab. »Schöne Stimme von draußen her! Draußen ist Luft und Natur!« Der kleine Glauser denkt das, er ist dichterisch veranlagt. Helbling geht zu Glauser hinüber, in der bestimmten Absicht, durch einen kleinen Spaziergang Zeit totzumachen. Schließlich schwatzt Glauser auch gern ein bißchen, obschon er ein Streber ist, der sich beständig Mühe gibt, Haslern zu gefallen. Hasler treibt Helbling mit Blicken an seine Wirkungsstätte zurück, aber es sind immerhin wieder zwölf Minuten gestorben. Auch der Gesang ist gestorben.
    Alle diese Leute im Saal wissen nicht, was sich da unten auf der Straße bewegt. Und die Wellen draußen im nahen See, was machen sie, und der Himmel, wie kann er aussehen? Einzig Senn, der leicht zum Aufbegehren Geneigte, der struppige, zugespitzte Revolutionär, erlaubt sich, ein Momentchen lang seinen Kopf an die frische Luft zu führen. Dafür wird er aber von der Kapitänskabine aus mit einem zischenden, langgezogenen Laut gestraft: »So etwas!« Hasler schüttelt seine Parkanlage oder Kopf mißbilligend hin und her, worauf Senn, um dem Hasler wieder einmal so recht eins zu putzen, ohne Veranlassung in seinen Büchern mit dem Radiermesser zu radieren beginnt, was der Chef auf den Tod hinein haßt.
    Zehn Uhr! »Erst die Hälfte«, denkt Helbling mit dem Gefühl, eine Unsumme von Melancholie zu unterdrücken. Jetzt, jetzt möchte er brüllen. Ob er wohl gut täte, wieder ein bißchen »auszutreten«? Er wagt es nicht recht. Dafür bückt er sich jetzt an den Boden herab, gleichsam, als habe er etwas fallen lassen, wovon keine Rede ist. In der tiefgebückten Haltung verharrt er ganze vier Minuten, als hätte dieser Zeitraum gerade genügt, seine Schuhe zu binden oder einen Bleistift aufzulesen. Ihm ist schaurig zumute. Er fängt an, sich vorzumalen, es sei zwölf Uhr. Auf den Schlag zwölf würde er
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