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Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Im Bureau: Erzählungen (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Robert Walser
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Raum, um zu prüfen, ob alle da sind. Zwei fehlen, und das ist natürlich wieder der Helbling und der Senn.
    In diesem wichtigen Moment schießt Buchhalter Senn, ein hagerer, spitzer Mann, hustend und pustend herein. Hasler kennt diesen Husten, das ist ganz einfach die Bitte um Entschuldigung. Wenn die Menschen zu stolz und zu verbohrt sind, den Mund aufzutun, um sich anstandshalber zu entschuldigen, husten sie. Senn steckt mit rasender Behendigkeit seine Nase in seine Bücher und tut, als sei er bereits stundenlang an dem Arbeitchen. Zehn Minuten sind wieder vergangen. Es ist zwanzig nach acht. »Unerhört sei doch das jetzt bald«, denkt Hasler, da tritt Helbling auf.
    Ganz und gar vermontaget, bleich und verwirrt im Gesicht, und schießt wie ein Pfiff an seinen Ort und Stelle. Wirklich, entschuldigen, das hätte er sich können. In Haslers Teich oben, will sagen Gehirn, taucht folgender Gedanke wie ein Laubfrosch auf: »Das hat nun aber bald jetzt keine Art mehr.« Er geht leise zu Helbling und stellt sich hinter ihm auf und fragt ihn, warum er nicht, wie die andern, zur rechten Zeit erscheinen könne. Das nehme ihn denn doch bald jetzt einmal wunder. Helbling erwidert kein Wort, er hat es sich bereits seit geraumer Zeit zur Gewohnheit gemacht, die Fragen seines Vorgesetzten einfach unbeantwortet zu lassen. Hasler kehrt wieder auf seinen quasi Aussichtsturm zurück, von wo aus er die Buchhaltung dirigiert.
    Halb neun. Helbling zieht seine Sackuhr hervor, um ihr Gesicht mit dem Gesicht der großen Bureauuhr zu vergleichen. Er seufzt, es sind erst zehn kleine, winzige, dünne, zarte, spitze Minuten verflossen, und vor ihm stehen dicke, behäbige Stunden. Er bemüht sich, zu versuchen, ob es ihm möglich sei, den Gedanken zu fassen, daß er jetzt arbeiten müsse. Der Versuch mißlingt, aber der Versuch hat immerhin das Gesicht der Uhr ein wenig verschoben. Es sind weitere fünf zierliche, liebe Minuten dahingeschwunden. Helbling liebt die Minuten, die gegangen sind, aber dafür haßt er die, die noch kommen, und die, die ihm den Anschein erwecken, daß sie nicht recht vorwärts machen wollen. Er möchte solchen faulen Minuten jedesmal Stöße versetzen. Er prügelt in Gedanken die Minutenzeiger tot. Den Stundenzeiger wagt er überhaupt nicht anzuschauen, er hat sonst Anlaß, zu fürchten, er werde ohnmächtig.
    Ja, so ein Bankhausvormittag, so eine Welt zwischen Pulten. Sonne schimmert draußen. Jetzt aber geht Senn zum Fenster, er hat jetzt genug, wie er sich ausdrückt, und er reißt barsch und aufbegehrerisch die beiden Flügel auf, um Luft hereinzulassen. Das sei noch kein Wetter zum Fensteraufmachen, bemerkt Hasler zu Senn hinüber. Der dreht sich um und spricht Worte zu seinem Chef, wie sie eben sich nur ein langjähriger Angestellter oder Beamter erlauben darf. Aber bald wird es dem Hasler zu dick, und er verbittet sich »diesen Ton«. Das Gefecht ist damit abgebrochen, das Fenster geht zur Hälfte wieder sanft zu, Senn murmelt ein paar Worte zu sich, jetzt herrscht für einige Zeit Frieden.
    Fünf Minuten vor neun. Wie entsetzlich langsam für Helbling die Zeit geht. Er fragt sich, warum es jetzt nicht ebensogut schon neun Uhr sein könne, das wäre wenigstens schon eine Stunde, es gäbe nachher noch mehr als genug. An diesen fünf Minuten schält er so lange herum, bis sie langsam vorüber sind; jetzt schlägt es neun. Jeder Schlag, den das Werk macht, wird von einem Seufzer aus Helblings Mund begleitet. Er rupft seine Taschenuhr hervor, sie hat ebenfalls neun, diese doppelte Bestätigung macht ihn traurig. »Ich sollte eigentlich nicht soviel auf die Uhr schauen, das kann nicht gesund sein«, denkt er und fängt an, seinen Schnurrbart zu liebkosen. Das merkt einer seiner Kollegen, Meier vom Land, dieser wendet sich zu Meier von der Stadt hinüber und sagt leise zu ihm: »Ist das nicht eine Schande, wie jetzt der Helbling wieder seine Zeit totschlägt.« Ein Rechteck von Köpfen dreht sich auf diese geflüsterte Bemerkung hin nach der Richtung um, wo Schnurrbärte gedreht werden. Diese Bewegung wird von Hasler beobachtet, bald weiß er Bescheid, er geht leise zu Helbling und stellt sich zur Abwechslung wieder einmal hinter ihm auf.
    »Was machen Sie da, Helbling?«
    Und jetzt antwortet der freche Mensch wieder nichts. »Sie können wohl so gut sein und mir antworten, wenn ich Sie etwas frage. Das ist mir jetzt bald ein Benehmen, das. Zuerst kommen Sie eine halbe Stunde zu spät (Helbling sagt: »Das ist
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