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Im Bann der Versuchung

Im Bann der Versuchung

Titel: Im Bann der Versuchung
Autoren: Susan King
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Die wohlgeformten Gliedmaßen besaßen wahre Schönheit, das Haar glänzte dunkelbraun, die Brauen waren glatt und schwarz, und am Kinn war ein dunkler Flaum von Bartstoppeln zu erkennen. Das dichte schwarze Brusthaar wurde über seinem flachen Bauch dünner und verlor sich schließlich in seinem strammen, aber verborgenen Geschlechtsteil.
    Bei dem Anblick verspürte sie ein eigenartiges Flattern in der Magengegend. Nervös, mit hochroten Wangen, spielte sie an dem Liebesring an ihrem Finger und bemerkte, wie der Mann langsam die Augen öffnete. Seegrün waren sie - so wie es die Legende erzählte. Er durfte sie nicht sehen. Hastig lehnte sie sich in den Schatten des Felsvorsprungs zurück und atmete erleichtert auf, als er weiterschlief.
    In der silbrigen Stunde vor dem Sonnenaufgang betrachtete sie den Mann aus der anderen Welt, ihren Ehemann nach dem Gesetz der Liebe und einem uralten Übereinkommen. Er hatte einen Zauber in ihr geweckt, in ihrem Leben, ihrem Körper, ihrem Herzen. Eine zärtliche, bedingungslose Zuneigung durchströmte sie.
    Abermals bewegte er sich unruhig. Margarets Herz klopfte wild. Tief in ihrem Innern wusste sie, dass er ein irdisches Wesen sein musste, dass es närrisch war, an eine Legende zu glauben. Doch noch waren der Einfluss der Ahnen und der Zaubertrank stärker und ließen sie glauben, dass das Wesen neben ihr der Each-Uisge war, der Anführer der Wasser-Kelpies, der Mächtigste unter allen Wassergeistern. Und wenn er sie bei Tageslicht sah, dann würde sie niemals wieder nach Hause gehen können.
    Das Wesen streckte sich gähnend. Von Furcht getrieben, verließ Margaret eiligst die Grotte, floh barfüßig in der durch den Nebel aufbrechenden Morgendämmerung über das felsige Plateau. Am
    Fuß des Felsens erblickte sie das Ruderboot des Großvaters. Er und seine Frau Thora hatten ihr Versprechen gehalten, die Enkelin vor Sonnenaufgang abzuholen. Ohne weiter nachzudenken, rannte Margaret hinunter. Norrie zog sie ins Boot, und während Thora die Enkelin fürsorglich in ein dickes, wärmendes Plaid hüllte, ruderte der Großvater auch schon nach Caransay.
    Margaret schaute zurück. Wie ein Krieger aus alten, längst vergangenen Zeiten stand der Mann, das Plaid um die Schultern
    drapiert, am Eingang zur Grotte und blickte in Richtung Westen über das weite Meer. Er drehte sich nicht um, bemerkte nicht das Boot, das sich gen Osten entfernte.
    „Da ist er", flüsterte Thora voller Ehrfurcht und schloss Margaret aufgeregt in ihre Arme.
    „Ruhig", brummte Norrie, ohne sich umzuschauen.
    Margaret zerriss es fast das Herz. Auch wenn sie alles verlor, sie konnte ihn einfach nicht allein auf dem Felsen zurücklassen.
    Als sie über Thoras Schulter zurückschaute, um Norrie zu bitten, doch umzukehren, sah sie den Bug eines weiteren Bootes auf der Westseite des Felsens langsam durch den Nebel gleiten. Zwei Männer ruderten den Kahn. Winkend lief Margarets Geliebter den Hang hinunter, griff nach dem Tau, das die Männer ihm zuwarfen, zog das Boot an Land, kletterte hinein und wurde mit freudigen Schlägen auf den Rücken begrüßt. Dann nahm der Nebel Margaret die Sicht.
    Sie drehte sich wieder um. Ihre Großeltern hatten nichts bemerkt. Sie fühlte sich elend. Nicht mit dem großen Kelpie hatte sie geschlafen, sondern mit einem Mann - einem ganz gewöhnlichen Mann.
    Viele Inselbewohner von Caransay kannten die alte Legende, aber nur Margaret und ihre Großeltern wussten von ihrem Plan
    für die vergangene Nacht. Dennoch musste irgendjemand davon erfahren haben - möglicherweise hatte Elga sich damit gebrüstet -, und der Mann war wegen eines Liebesabenteuers auf den Felsen gekommen. Vielleicht hatte er im Trunk gewettet und erzählte nun ausgelassen seinen Freunden von seinem Abenteuer.
    Tränen traten ihr in die Augen, und beschämt senkte Margaret den Kopf.
    Thora legte den Arm um ihre Enkelin. „Der Kelpie war bestimmt sanft und zärtlich zu dir", versuchte sie zu trösten. „Und sollte aus diesem magischen Beisammensein ein Kind entstanden sein", fuhr sie leise fort, „so werden wir uns freuen und es liebevoll in unserer Familie aufnehmen. Als Dank wird der große Wassergeist Caransay vor Unbill bewahren und uns mit Wohlstand segnen." Thora lächelte weise.
    O Gott, ein Kind, dachte Margaret.

Kapitel 1
    S trathlin Castle, nahe Edinburgh Juli 1857

    „Ein Heim für Mädchen mit fragwürdiger Moral?" Sir John Shaw rümpfte seine dicke Knollennase. „Nein, Lady Strathlin, als
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