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Im Bann der Versuchung

Im Bann der Versuchung

Titel: Im Bann der Versuchung
Autoren: Susan King
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Küsse.
    Geschickt verband sie ihrer beider Haarsträhnen mit dem roten Faden zu einem Band der Liebe und begann sofort, einen zweiten Faden mit goldblonden und braunen Haarsträhnen ineinander zu verweben. Als sie zwei winzige Zöpfe geflochten hatte, formte sie daraus zwei Ringe. Einen steckte sie sich selbst an den Finger, dann beugte sie sich vor und streifte den zweiten Ring vorsichtig dem schlafenden Mann über den Finger.
    Nun war es vollbracht. Damit war die nächtliche Hochzeit besiegelt. Genau so, wie Mutter Elga es ihr geschildert hatte. Liebevoll strich sie kurz über das seidene Haupthaar ihres Liebhabers, dann rutschte sie wieder zum Eingang und lehnte sich zurück.
    Wenn dir der Kelpie erscheint, dann geh und leg dich zu ihm, hatte ihre Urgroßmutter ihr erklärt. Alle hundert Jahre kommt er und holt sich eine Jungfrau von Caransay zur Braut. So ist es unsere Abmachung mit dem Herrn der Meere. Dafür bewahrt er die Insel vor Schaden. Und wenn in dieser Nacht ein Kind gezeugt wird, bringt das zusätzlich viele Jahre lang Wohlstand und Zufriedenheit für die Inselbewohner. Du weißt, dass wir seine Hilfe mehr denn je benötigen.
    Auf der abgeschiedenen Insel herrschten alte Bräuche und Überlieferungen. Margaret, die sowohl auf der Insel als auch auf dem Festland zur Schule gegangen war, hielt sich, seit sie erwachsen geworden war, nicht mehr streng an die alten Regeln. Sie betrachtete sich als Mitglied der modernen, aufgeklärten Gesellschaft des Festlandes. Doch ihre Urgroßmutter Elga, ihre Großmutter Thora und die meisten Inselbewohner glaubten fest an die alten Überlieferungen und das uralte Abkommen mit dem Kelpie von Sgeir Caran, das nur den Leuten von Caransay bekannt war.
    Und da vielen Inselbewohnern die Vertreibung durch einen Landeigentümer drohte, der Schafe und Geld mehr schätzte als ehrbare, unbeugsame Männer und deren Familien, hatte Margaret eingewilligt, eine Nacht auf dem Riff von Sgeir Caran zu verbringen.
    Doch mit einem Orkan hatte sie nicht gerechnet - und schon gar nicht mit einem Kelpie. Wie ein Pfeil war er dem Meer entsprungen, auf dem Riff erschienen, während der Sturm, der ihn geboren hatte, weitertobte. Das Wesen entpuppte sich als ein kräftiger, stattlicher Mann, der überraschend menschlich war. Margaret hatte erwartet, dass sie sich vor ihm fürchten würde, aber stattdessen hatte sie Mitleid mit ihm gehabt, denn er war geschwächt vom Kampf gegen Sturm und Fluten und brauchte ihre Hilfe.
    Sein Lächeln hatte ihr Herzklopfen bereitet, und als er sie in den Arm genommen und geküsst hatte, war sie wehrlos seinem Zauber erlegen, der sie immer noch gefangen hielt, genauso wie der seltsam köstliche Trancezustand, den Elgas Zaubertrank aus Whiskey und Kräutern bewirkt hatte. Der Trank hatte vergangene Nacht ihr Blut so sehr in Wallung gebracht, dass sie sich schockierend freizügig benommen und ihre Leidenschaft ausgelebt hatte, sich wie berauscht auf einer Welle von Zärtlichkeit und überwältigender Erregung hatte davontragen lassen. Willig und heißblütig hatte sie die uralte Abmachung erfüllt - ja, sie hatte sogar danach verlangt. In dem Unwetter und in der Dunkelheit hatte sie geglaubt, ohne den Schutz seiner Arme sterben zu müssen.
    Bei Tageslicht konnte sie ihre Angst kaum mehr verstehen. Beschämt senkte sie den Kopf. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass er eine Traumgestalt, kein wirklicher Mensch war. Was sich zwischen ihnen ereignet hatte, lag jenseits der normalen Erfahrung. Eines solchen außerordentlichen Geschehens musste sie sich nicht schämen.
    Sie blickte wieder zu ihm hinunter und wünschte sich, erneut in seinen starken, tröstenden Armen liegen zu dürfen. Doch zugleich wusste sie, dass sie sich aus seinem Zauber befreien musste, andernfalls würde sie ihm für immer erlegen sein. Sah er sie und berührte sie noch einmal bei Tageslicht, dann würde er sie nicht mehr loslassen und mit sich auf den Meeresgrund ziehen, wo sie für immer für die Welt verloren war - so sagte es die Legende.
    Nein, das konnte nicht wahr sein. Und dennoch - hatte sie nicht gesehen, wie er aus den Tiefen aufgetaucht war? Deshalb musste es stimmen. Verwirrt rieb sie sich die Augen. Elgas Zaubertrank wirkte immer noch.
    Der Mann bewegte sich seufzend im Schlaf, und das Plaid, das Margaret über ihn gelegt hatte, rutschte beiseite. Wahrlich ein kräftiger, stattlicher Mann, dachte sie, während sie im grauen Morgenlicht die schlanke, muskulöse Gestalt bewunderte.
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