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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter
Autoren: Oliver Bottini
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Zufriedenheit glücklich verheirateter Männer, obwohl er seit langem nicht mehr verheiratet war. Ihn abends manchmal bei sich zu haben, zuzusehen, wie er las, wie er Musik hörte, abspülte, vermittelte ihr das Gefühl, einen Abend lang wieder Ehefrau zu sein. Ein Gefühl, das man mit vierundvierzig hin und wieder brauchte.
    Doch ein Abend Ehe alle vierzehn Tage genügte.
    Am Morgen ließ Marcel sich gemütlich hinauswerfen.
    Marcel, vierundfünfzig, ein liebevoller, in der Mitte auseinandergehender Buchhändler unter einem wirren grauen Haarschopf. Vor allem das Weiche an ihm gefiel ihr. Hin und wieder sich fallen lassen und weich landen, körperlich wie seelisch.
    Schwierig war das Trinken. Marcel trank für sein Leben gern abends ein Glas Rotwein. Da Alkohol in ihrer Wohnung tabu war, hatte sie ihn zum Trinken anfangs in seine Wohnung hinübergeschickt. Seit er ins Vauban gezogen war, schickte sie ihn aufs Gerüst. Da stand er dann und wirkte trotz Höhenangst und Kälte gemütlich.
    Jetzt hob er die Kaffeetasse, bewegte sie mit ratlosem Blick im Halbkreis von der Küchentheke über Wohnzimmer, Bad und Diele, als wollte er sagen: Ist das hier wirklich so was Besonderes? Lohnt es sich dafür wirklich, diesen Terror auszuhalten?
    Aber dann räusperte er sich nur.
    Louise trank und wartete. Sie glaubte zu spüren, dass da noch etwas nachkommen würde, etwas Wichtiges womöglich. Ein Räuspern, das Wichtiges einleitete.
    Marcel stellte die Kaffeetasse ab, zog die Niemann-Unterlagen
zu sich, schob die Kanten mit den Handflächen sorgfältig übereinander.
    Schob hier, schob dort.
    Sah auf.
    »Das Vauban ist hübsch.«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Sehr hübsch. Man kann da gut leben.«
    Sie hob die Brauen, dachte: Zu viele Kinder, zu viele freundliche Menschen, zu wenig Autos.
    Wartete weiter.
    »Wirklich sehr hübsch.«
    »Hm.«
    Marcel schob wieder, räusperte sich wieder. »Deutlicher werde ich es nicht sagen, Liebes.«
    Sie lächelte. Zusammenziehen mit Marcel? Sie strich ihm sanft über den Arm und schüttelte den Kopf.
    Dann klopfte es am Küchenfenster, und Marcel verschwand seufzend im Bad, während Louise den Vorhang zurückzog für einen neuen Tag in ihrem Leben auf der Baustelle.
     
    Nachdem Marcel gegangen war, zog sie sich an, dann öffnete sie die Tür. Wenige Minuten später standen die Oberschlesier strumpfsockig und sichtlich verlegen in ihrem Wohnzimmer. Zusammen leerten sie die Regale an der Außenwand zum Hof, durch die Louise ihre Wohnung künftig betreten würde, verteilten sie auf freie Stellen an anderen Wänden, eines wurde zerlegt und verschenkt. Hinter den Regalen fanden sie viel Staub, tote Asseln, ein ungeöffnetes Fläschchen Jägermeister. Auch der Jägermeister wurde verschenkt.
    Dann sah sie zu, wie Christian die Wand vermaß und
mit einem roten Marker die Umrisse der provisorischen Tür aufzeichnete. Ungefähr hier, zeigte er. Sie nickte.
    Eine einbruchssichere graue Metalltür im Wohnzimmer. Ein Steg auf ein metallenes Treppengerüst. Ein Winter auf der Baustelle.
    Eh bien?
    Überrascht registrierte sie, wie gelassen sie geworden war. Nichttrinken machte offenbar nicht nur gesund, sondern auch gelassen.
    »Nicht schön zu wohnen«, sagte Andreas in bedauerndem Ton.
    »Ist ja nur für ein paar Monate.«
    »Und dann kommt Balkon und ist wohnen wieder schön.«
    Sie brachte sie zur Tür, sah zu, wie sie in ihre ausgetretenen Bauarbeiterschuhe schlüpften. Hatte sie das Wohnen jemals schön gefunden? Hier, woanders? Hatte sie jemals irgendwo gern gewohnt? Brauchte sie einen Balkon?
    »Danke für Regal und Schnaps«, sagte Christian.
    »Bitte«, sagte Louise und schloss die Tür.
     
    Während sie überlegte, ob sie den Staub und die Asseln sofort oder erst am Abend zusammenkehren sollte, dachte sie an den Jägermeister. Was, wenn sie im Juli des vergangenen Jahres nicht das Mon Chérie, sondern den Jägermeister gefunden hätte?
    Sie stünde, das war mal klar, an diesem Morgen nicht hier. Sie wäre, auch das war klar, keine Polizistin mehr.
    Fröstelnd zog sie Schuhe an, griff nach den Niemann-Unterlagen, verschob Staub und Asseln auf den Abend.
    Ein letzter Gang durch das alte Treppenhaus ins Erdgeschoss hinunter, vorbei an Dutzenden verstaubten, verfärbten,
verschmutzten Bauarbeitern, Elektrikern, Tischlern, Installateuren, Architekten, an aufgebrochenen Wänden, die rotes Ziegelwerk offenlegten wie blutende Wunden, türlosen, verheerten Wohnungen, stählernen Behelfsstützen,
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