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Im Auftrag der Väter

Im Auftrag der Väter

Titel: Im Auftrag der Väter
Autoren: Oliver Bottini
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irgendetwas
nicht
in Ordnung war. »Hallo«, rief er. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Der Mann ging schweigend weiter.
    »Mach lieber die Tür zu, Papa.«
    »Philip ...«
    »Bitte!«
    Paul Niemann trat ins Wohnzimmer zurück und schloss die Tür. Der Mann war jetzt kaum noch zehn Meter von der Terrasse entfernt, und Paul Niemann wünschte, er würde stehen bleiben, aber das tat er nicht. Gleich hatte er das Rosenbeet erreicht, spätestens da musste er ja stehen bleiben, da muss er stehen bleiben, dachte Paul Niemann, aber der Mann blieb nicht stehen, er ging einfach weiter, ging mitten durch das Rosenbeet, trat auf die Terrasse, ohne ihn auch nur einen Moment lang aus den Augen zu lassen. Tu was, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, tu doch was!, aber er wusste nicht, was, und so tat er nichts, während der Mann auf die Terrasse trat, zur Tür kam, als wollte er einfach immer weitergehen, durch die Scheibe, zu ihnen ins Haus ...
    Erschrocken wich er zurück.
    Im letzten Moment blieb der Mann stehen, unmittelbar vor der Terrassentür, legte die Hände flach an die Scheibe, riesige, dunkle, aufgeschürfte Hände, und jetzt rief die Stimme in Paul Niemanns Kopf, tu was, tu doch endlich was, da wurde ihm bewusst, dass die Stimme zu Philip gehörte, und er hörte Philip rufen und nickte und machte einen Schritt auf den dunklen Körper zu, in dem er plötzlich sein Spiegelbild erkannte, viel deutlicher als vorhin, und er machte einen weiteren Schritt auf den dunklen Körper
und sein Spiegelbild zu und noch einen, als der Mann zurücktrat, in die Tasche griff, den rechten Arm hob, ihm jenseits der Scheibe einen schwarzen Gegenstand entgegenhielt, und Paul Niemann starrte auf den Gegenstand und hörte Philip rufen und spürte die Angst in seiner Brust hämmern ...
    Alles in Ordnung, Philip, dachte er.
    Und schloss die Augen.
     
    Ewigkeiten vergingen, nichts geschah. Er spürte, dass ihm Tränen über die Wangen liefen, dass er viel zu schnell atmete, dass ihm wieder kalt war wie vorhin. In seinem Kopf tosten Bilder und Gedanken, er sah einen Mann über ein Feld laufen und dachte, dass dies sein Vater sein musste, sein Vater als junger Mann, dann war sein Vater ein Kind, und das Kind lief über das Feld, und sonst war niemand zu sehen, und das Kind, das sein Vater sein musste, lief und lief. Da sagte Philip, er ist weg, Papa, und er öffnete die Augen und blinzelte und sah, dass der Mann fortging, auf dem Weg, den er gekommen war, in den Nebel zurückkehrte.
     
    Er saß im Sessel vor dem Fenster und blickte in den Garten hinaus, noch immer Regen, noch immer Nebel, noch immer verlief eine graue Wand quer durch den Garten. Und doch war jetzt alles anders.
    »Nein, Mama, noch nicht«, sagte Philip hinter ihm am Telefon.
    Kalte Schauer liefen ihm über Nacken und Schultern. Ein Mann mit einer Pistole.
    »Nein, musst du nicht ... Er ist ja weg ... Nein, wirklich nicht. Sie muss nicht früher kommen, oder, Papa?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Weiß nicht, vor zehn Minuten ... Oh,
Mama
, die werden gleich kommen ... Ich weiß es nicht, irgendein Penner halt!«
    Ein Penner auf dem Weg durch die Gärten der Siedlung ...
    Doch irgendetwas, dachte er, passte nicht zu dem Bild in seiner Erinnerung.
    Dann wusste er es. Kein Penner. Dieser Mann war kein Penner. Er sah verwahrlost aus, auch verdreckt, aber er war kein Penner. Penner sahen anders aus. Gingen anders, verhielten sich anders. Waren auf irgendeine unbestimmbare Weise anders.
    »Nein, Mama, wirklich nicht ... Doch, wir haben alles im Griff, und gleich kommt ... O Mann,
nein

    Sein Blick fiel auf die Fußspuren im Beet vor der Terrasse. Der Boden war vom tagelangen Regen gesättigt, in den Schuhabdrücken sammelte sich das Wasser. Der Mann war auf Rosenstrünke getreten, hatte Erde auf die Terrasse getragen, hatte die Terrasse
versaut
.
    Alles im Griff, nein, nichts hatten sie im Griff, schon gar nicht er, nichts, nicht diese Situation, nicht sein Leben, nicht die Familie.
    Nicht die Angst. Nichts.
    Mit klopfendem Herzen ging er in die Diele, zog Gummistiefel an, nahm einen Regenschirm, ging ins Wohnzimmer zurück. Öffnete die Terrassentür und trat in den strömenden Regen hinaus.
     
    Vage Spuren quer durch den Garten, niedergedrücktes Gras, das Törchen zu dem Weg, der an den Äckern und Feldern am Fuß des Schönbergs entlang verlief, halb geöffnet. Er schloss es. Dann kehrte er in die Mitte des Gartens
zurück, wo die Schuhabdrücke deutlicher waren. Vor ihm im Nebel
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