Illusion der Weisheit

einen unerreichbaren Ort.
    Plötzlich fiel mir ein, dass ich noch etwas zu erledigen hatte. Ich hielt am Straßenrand, holte das Aufnahmegerät hervor, das ich noch nicht einmal benutzt hatte, und trat mit dem Absatz mehrmals darauf. Dann schmiss ich es zusammen mit der Pistole in einen Müllcontainer und fuhr weiter.
    Etwa eine halbe Stunde später kam ich ans Meer, ohne zu wissen, wie, und dort, auf einem Felsen sitzend, wurde ich langsam wieder Herr meiner Gedanken.
    In meinem Buch gibt es ein Kapitel zum Aufbau der Figuren. Während ich auf diesem Felsen saß, fiel es mir wieder ein. Ich rief mir einige Sätze ins Gedächtnis, und sie trafen mich wie eine Offenbarung.
    Unter den gängigen Methoden des Schriftstellers, interessante Figuren zu erschaffen, gefällt mir eine besonders: Man suche sich jemanden aus dem wirklichen Leben und lasse ihn in seinem fiktiven Leben vollkommen konträr zu seinem wahren Wesen agieren. Fassen Sie eine real existierende, moralisch fragwürdige Person ins Auge, übertragen Sie sie in die Welt des Romans, und lassen Sie sie moralisch oder gar heroisch handeln. Oder das Gegenteil: Nehmen Sie einen guten Menschen (was auch immer das heißen mag), und teilen Sie ihm die Rolle des Antihelden zu. Das Ergebnis sind überraschende Verquickungen und facettenreiche Figuren.
    Die von mir verfassten Worte mischten sich mit Natalias Stimme, wie ich sie von unserem kurzen Treffen erinnerte.
    Sie sollen wissen, und das sage ich nicht, um mich bei Ihnen einzuschmeicheln, dass ich erst nach der Lektüre Ihres Buches anfangen konnte zu schreiben und im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche, ihre Ratschläge zu befolgen.
    Einen Moment lang war mir, als könnte ich im Gefüge meiner und ihrer Worte eine Wahrheit oder zumindest eine Bedeutung erfassen.
    Mir war so, doch vielleicht war das nur eine Art, Abschied zu nehmen.
    Es ist Zeit, nach Hause zu fahren, sagte ich mir, während ein fahles Licht den Horizont über dem Meer erhellte.