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Illettrismus Version Open Doc

Illettrismus Version Open Doc

Titel: Illettrismus Version Open Doc
Autoren: France Carol
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barg. Lange blieben sie so in der offenen Tür stehen, bis sich Silas endlich dazu durchringen konnte, sich etwas zu lösen und so den Russen in das Wohnungsinnere zu ziehen, um ihn ins Wohnzimmer zu führen.
    Boris blieb schließlich vor dem Fenster stehen und starrte mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen in die nächtliche Dunkelheit, während sich Silas auf das Sofa setzte und darauf wartete, dass der andere mit dem Sprechen begann.
    „Es tut mir leid“, sagte Boris nach einer Ewigkeit des Schweigens. „Ich habe dich im Club wie den letzten Dreck behandelt. Das wollte ich nicht.“
    „Du wolltest mich auf Abstand halten.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, weil Boris‘ Verhalten damit erklärbar schien.
    Boris nickte und schwieg wieder, so dass Silas entschied, das Wort zu ergreifen.
    „Ich sollte dein Geheimnis nicht erfahren, nicht wahr? Du hattest Angst davor, wie ich darauf reagieren würde.“
    „Wir brauchen wohl nicht mehr um den heißen Brei herum zu reden. Sprich es nur aus: Ich bin ein Analphabet. Ein Idiot, der weder lesen noch schreiben kann“, sagte Boris unwirsch und dreht sich zu Silas um.
    Es war unübersehbar, dass sich der Russe in Abwehrstellung begab, denn seine Fäuste hatten sich geballt und das Kinn war nach vorne gereckt. Offensichtlich wappnete er sich so gegen Hohn und Spott.
    „Hör auf mir unterstellen zu wollen, dass ich dich als Idioten ansehe. Ich kann mir sehr gut selbst eine Meinung bilden. Ich habe mich bereits zuvor einmal mit dem Thema Analphabetismus beschäftigt und weiß genau, dass es weit mehr Betroffene gibt, als man sich vorstellen mag. Du bist hier also der einzige, der dich als Idiot tituliert, weshalb du dich jetzt abregen kannst, so dass wir wie zwei intelligente Menschen miteinander reden können.“
    „Pah, intelligente Menschen! Ich sehe hier lediglich einen davon. Es mutet verdammt seltsam an, wenn man einen Trottel wie mich als einen solchen bezeichnet.“
    „Es wundert mich, dass du dich nicht besser über dieses Thema informiert hast, denn mit fehlender Intelligenz hat Analphabetismus ganz selten etwas zu tun. Willst du mir nicht lieber die ganze Geschichte erzählen, damit ich mir selbst ein Bild über deine psychische Leistungsfähigkeit machen kann?“, fragte Silas ruhig.
    Wieder dauerte es eine Weile, doch schließlich begann Boris seine ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Er beschönigte nichts, wies auch auf seine Faulheit, sein Unvermögen die Konsequenzen richtig einzuschätzen und all die gescheiterten Versuche, sein Defizit im Erwachsenenalter zu beheben, hin.
    „Wenn ich das richtig verstanden habe, dann hast du mit Zahlen keine Schwierigkeiten, wohl aber mit der schriftlichen Sprache. Was kannst du denn davon, und was macht dir Mühe?“, wollte Silas wissen, als Boris mit der Schilderung abgeschlossen hatte.
    „Ich kann das Alphabet, aber nur ein oder zwei Wörter als solche erkennen, ansonsten ergeben all die Buchstaben einfach keinen Sinn für mich. Schreiben kann ich lediglich meinen Namen“, erklärte der Russe mit hängendem Kopf.
    Ganz offensichtlich schämte er sich und wollte ihn deshalb nicht ansehen. Langsam erhob sich Silas und ging zu Boris, um ihm die Hand auf die Wange zu legen.
    „Sieh mich an, Boris“, forderte er den Russen auf und wartete, bis dieser endlich den Blickkontakt aufnahm. „Jetzt weiß ich also dein Geheimnis und bin immer noch hier. Was mich aber noch viel mehr interessiert ist, weshalb du dich die letzten Wochen mit mir immer wieder getroffen hast, obwohl das gegen deine Regel ist?“
    Silas konnte erkennen, dass Boris nervös schluckte und nach Worten zu suchen schien, dennoch unterbrach er den Blickkontakt nicht.
    „Das kannst du dir doch denken, oder etwa nicht?“
    „Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Ich möchte es jedoch auf jeden Fall hören, denn ich muss wissen, woran ich bei dir bin.“
    Nickend wollte sich Boris abwenden, doch Silas packte ihn am Kinn und zwang ihn so weiterhin dem Blick standzuhalten.
    „Ich…“, begann der Russe stockend, „…ich konnte halt einfach meine Finger nicht von dir lassen.“
    „Aha. Weil wir so guten Sex hatten oder…?“, fragte Silas weiter, beendete den Satz aber absichtlich nicht, weil er von dem Mann, den er liebte, hören wollte, ob dieser etwas für ihn empfand.
    „Beides“, murmelte Boris.
    Oh Mann, der Mann war wirklich eine harte Nuss, die sich nur schwer
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