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Illettrismus Version Open Doc

Illettrismus Version Open Doc

Titel: Illettrismus Version Open Doc
Autoren: France Carol
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blickte grimmig in die Runde.
    „Tja, wir haben uns beinahe gedacht, dass du dich bockig anstellen wirst. Aber auch wenn du einer der stärksten von uns bist, gegen uns alle wirst du nicht ankommen. Entweder du begleitest uns freiwillig oder wir müssen leider Gewalt anwenden“, erklärte Vladek und baute sich vor ihm auf.
    Gleich darauf stellten sich auch Tarek und Mesut dazu und sahen ihn auffordernd an. Boris ballte die Hände zu Fäusten, bereit sich zu wehren, doch plötzlich drängte sich ein kleiner Kerl zwischen den muskulösen Körpern hindurch. Janik blickte zu ihm hoch und umfasste mit seinen zierlichen Händen Boris‘ Fäuste.
    „Es wird sich lohnen, Boris. Du musst dir und auch Silas diese Chance geben. Willst du dich irgendwann fragen müssen, ob aus euch wohl etwas geworden wäre, wenn du den Mut gehabt hättest, Silas die Wahrheit zu erzählen? Und wenn es nicht klappt, dann hast du hier…“, Janik macht eine allumfassende Bewegung durch den Raum, „… all deine Freunde, die dich auffangen werden.“
    „Es … es ist nicht so leicht“, sagte Boris leise.
    „Ja, wem sagst du das? Auch mein Weg war nicht einfach, aber ich habe ihn mit Hilfe von Mesut, aber auch von euch allen geschafft. Du hast mich damals mit Mesut aus dem Keller meines Masters herausgeholt. Ich habe nie vergessen, dass du in dieser schweren Stunde für mich dagewesen bist. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass dir geholfen wird. Du wirst diesen Schritt nie tun, wenn man dich nicht dazu zwingt, also … dies hier ist eine Hilfestellung und sollte wirklich nicht mit Gewalt untermauert werden müssen.“
    Einen Moment musterte er Janik nachdenklich. „Wo ist nur der verschüchterte, kleine Kerl geblieben?“, fragte Boris mit einem wehmütigen Lächeln, „Du solltest dich um eine Stelle beim diplomatischen Dienst bewerben.“
    Mit einem ergebenen Nicken in die Runde gab er schließlich sein Einverständnis. Aufmunternd klopften ihm all seine Freunde auf die Schulter und dirigierten ihn dann aus der Wohnung, damit er den schweren Gang zu Silas machen konnte, um diesem sein Geheimnis zu offenbaren.
    ***
    Silas blickte immer wieder auf die Uhr. Es war bereits weit nach vier Uhr in der Früh und von den Russen noch immer nichts zu sehen oder zu hören. Vor bald drei Stunden hatten sie Silas nach Hause geschickt und ihm versprochen, dass man Boris zu ihm bringen würde, damit sie sich aussprechen konnten.
    Die Bedenken über Boris‘ Gefühle ihm gegenüber hatte Tarek rigoros überhört und entschieden erklärt, dass sich alles klären würde, wenn Silas erst einmal die ganze Wahrheit über den Russen kannte. Tareks Worte hatten ihn zwar etwas beruhigt, dennoch war ihm Boris‘ abweisende Art immer noch sehr präsent, genauso wie der Schmerz, den er dabei empfunden hatte. Gleichzeitig konnte er sich aber auch an den gequälten Ausdruck in den Augen des Russen erinnern, als Rolf erzählte, dass dieser weder lesen noch schreiben konnte.
    Es war noch nicht einmal so lange her, als man in Silas‘ Leserclub darüber diskutiert hatte, wie es möglich war, dass es so viele Analphabeten in Industrieländern gab. Keiner der Clubmitglieder kannte persönlich einen Analphabeten, doch war es ihnen wohl bewusst, dass sich diese auch nicht einfach so zu erkennen gaben. Mit Boris kannte Silas nun jemanden, der des Lesens und Schreibens nicht mächtig war und musste sich eingestehen, dass es ihm tatsächlich nie aufgefallen war. Der Russe beherrschte die Täuschung anscheinend perfekt. Ob das alles auch der Grund war, weshalb er keinen Mann näher an sich heranließ? Und wenn ja, warum hatte er bei Silas eine Ausnahme gemacht? War es möglich, dass Boris dieselben Gefühle für ihn hegte, wie er für ihn?
    Mitten in diesen Gedanken wurde er durch das Klingeln an der Tür gestört. Nervös und mit schweißnassen Händen hastete er zum Eingang und öffnete. Vor ihm stand Boris, der ihn mit hängendem Kopf und Schultern unter den dichten Wimpern hervor verunsichert anschaute.
    Silas hatte sich bereits zuvor Worte zurechtgelegt, die er zur Begrüßung an den Russen richten wollte, doch nun übermannte ihn einfach nur die Erleichterung, dass dieser wirklich gekommen war, weshalb er sich glücklich an Boris‘ Brust warf und ihn fest an sich drückte.
    Er konnte ein erleichtertes Seufzen hören, als der andere die Arme um ihn schlang und das Gesicht in Silas‘ Halsbeuge
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