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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft
Autoren: Véronique Olmi
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möglich machte, vor einem Monat hatte er diese Zeit ohne sie und die Messe in R. eingetragen, seit zehn Tagen gab es noch winzige Bezugspunkte, kurze Signale, um sich vorzustellen, was der andere machte, Züge, Flugzeuge und alle Hotels, in denen sie sich nicht liebten.
    Und jetzt wartete jeder, dass der andere sprach, dass der andere anfing, den Ton vorgab, und jeder hoffte, dass das Unmögliche zum Durchbruch kam, um den eigenen Tonfall anzupassen.
    Deshalb schwiegen sie, voll Verlangen und Scham, ein Schweigen, das die Empfindlichkeit ihrer von diesen zehn Tagen der Abwesenheit und der unbeantworteten Fragen gequälten Seelen offenbarte, diese zehn Tage hatten sie getrennt, in den Strudel und die Menge geworfen, und keiner wusste von der Wirkung dieser Tage der Trennung: Waren sie unversehrt oder schon gezeichnet, beeinflusst von anderen als ihnen selbst?
     
    »Läuft es gut? Hast du viel signiert? Bist du zufrieden?«
    »Keine Ahnung, interessiert mich einen Dreck.«
     
    Und wieder Schweigen. Aber er lächelte, da war sie sicher. Lächelte, weil er sie unverändert wiederfand, übellaunig, dickköpfig, unverblümt und ungeduldig. Denn auch das liebte er an ihr. Die Stimmungswechsel und die Launen, die plötzlichen Einfälle, die Impulsivität, manchmal hatte er darunter gelitten, ohne je aufzuhören, sie zu lieben.
     
    »Mir ist kalt. Ich bin in einem eisigen Hotel, es gibt nicht mal eine zweite Decke, so was habe ich noch nie erlebt, ich bin völlig erstarrt.«
    »Du fehlst mir. Ich schaffe es nicht. Du fehlst mir.«
     
    Sie hatte Lust zu schreien: Na und? Was jetzt? Sag mir etwas anderes! Sag mir, dass das Haus verkauft ist, sag mir, dass du mich irgendwo erwartest, du wirst eine Tür öffnen und es wird dein Zuhause sein und du wirst sagen: »Mein Haus ist auch dein Haus.« Ich will nicht wieder so anfangen wie vorher, dieses typisch französische Leben, die Ehefrau, die Geliebte, alle wissen Bescheid, keine Lüge, oh nein, das gibt es zwischen uns nicht, alle leiden und schweigen, aus Stolz, aus Gier, aus Bequemlichkeit, aus Schiss.
     
    »Ich bin völlig erstarrt. Aber weißt du was, wenn ich gewollt hätte, würde ich heut Nacht nicht allein schlafen, heute Nachmittag habe ich Isaac getroffen, ich habe dir doch von Isaac erzählt, dem Verleger, erinnerst du dich, na ja, er hat mir Avancen gemacht, aber er ist verheiratet und ich habe ihm gesagt, dass bei mir Schluss ist mit verheirateten Männern, nie wieder, und weißt du, was er geantwortet hat, du ahnst es nicht, Isaac hat gesagt, dass er für mich seine Frau verlassen würde.«
    Sie wollte ihn eifersüchtig machen. Sie wollte ihn verrückt machen. Sie wollte, dass er in sein Auto sprang, um Isaac die Fresse einzuschlagen, mitten in der Nacht, mitten auf der Buchmesse, und dass er sich mit Mühe zurückhielt, auch sie zu schlagen, dass er nicht mehr wusste, was er mit seinen Händen machen, wie er seinen Schmerz zurückhalten, seine Liebe ausdrücken sollte, sie wollte den Skandal, seine Frau mitten in der Nacht verlassen, und er, der während der ganzen Fahrt ins Telefon brüllte: »Ich verbiete es dir! Ich verbiete dir, andere Männer zu treffen!«, sie wollte, dass er Mann wurde, dass er Macho wurde, dass er Isaac, nachdem er ihm die Faust ins Gesicht geschleudert hatte, sagte: »Das ist MEINE Frau! MEINE Frau, verstehst du, Scheißkerl! Sie gehört mir! Das ist MEINE Frau!«
     
    Es dauerte eine Sekunde. Sein Schweigen. Das Schweigen des Mannes am Telefon. Des Mannes, der in Paris im Bett lag, Hunderte Kilometer zwischen ihren beiden Betten, des Mannes mit der bloßen Haut, den leichten Augenringen, der heiseren Stimme. Es dauerte das Knacken eines Streichholzes. Nur ein winziger Funken, bevor alles in Flammen aufging.
    Bevor sein Lachen herausplatzte.

 
     
     
     
    D ENN ER LACHTE . Frei heraus. Spontan. Sanfter Ausbruch. Unerträgliche Leichtigkeit. Und das Lachen flüchtete sich in sie, verband sich mit ihrem Fleisch, ihrem Blut, die Mäander ihres Gehirns wurden überflutet von diesem plötzlich fetten, vereinnahmenden, kranken Lachen, einem Lachen, das ihr einflüsterte, wie lächerlich sie war, eine lächerliche Frau, die Frau, die kein Mann jemals wählen konnte. Sie hatte dieses Lachen eingeatmet, sie hatte es geschluckt, und weit weg, am anderen Ende der Welt, hörte sie die Stimme des Mannes, der fortfuhr: »Und sie hat mir gesagt, dass sie dich treffen möchte, ich war in ihrer Loge und …« Wie konnte es noch Worte geben nach
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