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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft
Autoren: Véronique Olmi
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noch mal bei den Taxis an.
    Ein alter grauer Mercedes war zuerst da, Hélène setzte sich auf den Beifahrersitz, drei andere fanden hinten Platz und freuten sich, dass sie zu viert ein Taxi nehmen konnten, das war doch viel einfacher als in Paris, der Fahrer sagte, dass er bei der Buchmesse in drei Tagen den Umsatz eines normalen Monats mache.
    Hélènes Handy klingelte, eine SMS, es war Patricks Klingeln, seit zehn Tagen nicht mehr gehört, seit sie ihn verlassen und ihm befohlen hatte, sie zu vergessen, sie endgültig zu vergessen, nicht zu versuchen, sie zu sehen, mit ihr zu sprechen, ihr zu schreiben. Ungeschickt und hastig zog sie die Handschuhe aus, augenblicklich glühende Wangen, Kopfschmerzen, unkontrollierbare Erregung. Sie wühlte in ihrer Tasche – Portemonnaie, Tampons, Schlüssel, Lippenstift, Parkscheine –, fand endlich das Telefon.
    Sie wusste nicht, was sie erhoffte, was ihr insgeheim lieber wäre: so enttäuscht von seiner Nachricht zu sein, dass sie erleichtert wäre, dass sie sich gratulieren könnte, diesen Mann verlassen zu haben und seit zehn Tagen durchzuhalten; oder ein Wort, das alles reparieren würde, der magische Satz, die Ankündigung, auf die sie seit dem Beginn ihrer Affäre wartete: Ich bin frei.
    »Gehen wir rein oder warten wir draußen auf die anderen?«
    »Wir warten.«
    »Sie können sich doch denken, dass wir da sind. Gehen wir rein.«
    »Und wie sollen sie Bescheid sagen, wenn sie kein Taxi kriegen, bei Loulou gibt’s ein Funkloch, wisst ihr das nicht mehr vom letzten Jahr?«
    »Geht rein, ich warte, man kann hier viel besser atmen als in Paris, es tut so gut, draußen zu sein.«
    »Einverstanden. Du wartest, wir gehen rein. Kommen Sie, Hélène?«
    »Hélène? Kommen Sie?«
    Ich bin jemand anders. Ich bin jemand, der alles ertragen kann. Ich bin ganz ruhig und gleichgültig, alles ist ganz leicht, nichts ist wichtig, ich werde morgen sterben, wir sind alle morgen tot, nichts ist wichtig.
     
    »Das Taxi ist schon bezahlt, kommen Sie nicht?«
    Erstaunt sah sie die Biografin von Elvis Presley an, die ihr mit ihrer Astrakankappe so lächerlich vorkam, und dabei war sie so nett, warum kümmerte sich das Mädchen um Hélène, warum diese unerwartete Freundlichkeit?
    »Na gut, mir ist kalt. Wenn Sie nicht wollen.«
    »Ich fahre ins Hotel.«
    Sie sahen sich kaum an, kaum überrascht, völlig gleichgültig, keiner, der »schade« sagte, der an die durchwachte Nacht im letzten Jahr erinnerte, sie würde niemandem fehlen. Nur ihm. Er hatte geschrieben: »Du felst mir.« Ohne h. »Du felst mir.« Der Fehler verkündete Gefühl, kündete von Verliebtheit und Aufregung, und das war … ja, das war … wieder war es wunderbar. Augenblicklich. Kein Zögern. Kein Zweifel. Wunderbar.
    »Bringen Sie mich ins Home.«
    Diese Buchmesse war wirklich ein Segen für die Taxifahrer. Der alte Mercedes tauchte langsam in den dicken Nebel ein, der noch kompakter wurde, sobald man die Stadt verließ. Die weißen Scheinwerfer waren die einzige Schneise durch die auf die Erde herabgesunkenen Wolken, die leeren, mit Eis überzogenen Felder, die schwarzen, bedrohlichen Bäume am Rand der kleinen Provinzstraße, die zum Home führte, ein armseliges Hotel, sechs Kilometer von R. entfernt.
    Sie hatten das Gewerbegebiet, die Parkplätze und die riesigen Plakate »Rindersteak im Angebot«, »Erotik- und Dessous-Salon« hinter sich gelassen; gelegentlich hörte man einen Hund, ohne zu wissen, wo er bellte, Nachtfalter prallten gegen die Windschutzscheibe, die Scheinwerfer bahnten weiter ihre Schneise, und die Wärme des Autos schützte sie vor allem.
    Ich bin nicht jemand anders, was soll’s, ich werde ruhig und gleichgültig und gesetzt und selbstsicher sein, wenn ich tot bin, und tot bin ich morgen, ja, morgen bin ich vernünftig.
     
    Die Straße hörte nicht auf. Hélène hatte es eilig, mit Patrick zu sprechen, ihm zu sagen, dass sie seine Nachricht erhalten hatte und dass auch er ihr fehlte, so sehr, so sehr! Jetzt dachte er wohl, dass sie seine SMS nicht erhalten hatte oder nicht darauf antworten wollte, jetzt war er bestimmt enttäuscht, wütend, gekränkt, unglücklich, aber warum hatte er gewagt, ihr das zu schicken, ihr diesen Köder hinzuwerfen, warum? Hatte er überlegt, Entscheidungen getroffen, erwartete er ihre Zustimmung, ihre Liebe, um den Bruch mit seinem gegenwärtigen Leben zu wagen, den Bruch mit seiner Frau, dem gemeinsamen Haus, den drei Kindern, mit dem Leben, das er mit seinen
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