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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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Walter Gabler. »Auf mich machst du immer einen so… katholischen Eindruck.«
    »Was meinst du damit?«
    »Katholisch. Gläubig. Ich hätte nie gedacht, daß du so einen Schritt wagen würdest.«
    »Ich war Anfang Zwanzig«, sagte Weningstedt.
    »Aber meine Meinung habe ich nicht geändert.« Feldkirch räusperte sich. »Da habe ich noch nie drüber nachgedacht, daß Jesus tatsächlich freiwillig zum Kreuz ging.« Er blickte in die Runde, ohne jemanden anzusehen. »Aber er tat es für die Menschheit. Oder nicht? Er hat sich geopfert, heißt es in der Bibel. Ist das Selbstmord? Ja. Auch. Oder?« Entschuldigend hob er die Hand.
    »Ich wollte dich nicht unterbrechen«, sagte er zu Weningstedt.
    Der Erste Hauptkommissar dachte nach, dann schüttelte er den Kopf und sah Fischer an. »Ich möchte mich bei dir als Sachbearbeiter für die schnelle Aufklärung bedanken. Ich hab einen Blick in den Dienstplan geworfen, in den nächsten zwei Wochen sind alle Kollegen anwesend. Wenn du willst, kannst du ein paar Tage Urlaub nehmen und Überstunden abbauen, du hast noch genau einhundertachtunddreißig.«
    »Ich werde Ann-Kristin fragen.« Fischer wandte sich an seine Kollegen. »Danke an euch alle.
    Ich bringe Badura ins Untersuchungsgefängnis und vorher kurz zu seiner Frau, damit er sich von ihr verabschieden kann.«
    Sie klopften mit den Fäusten auf den Tisch. Weningstedt wollte einen letzten Schluck trinken, schob die Tasse aber mit einem Schaudern beiseite.
    »Schmeckt dir der Kaffee nicht?« fragte Sigi Nick quer über den Tisch.
    »Ist kalt geworden«, sagte sein Chef.
    »Warte!« rief Liz.
    Sie rannte durch den strömenden Regen, der plötzlich eingesetzt hatte, hinter dem Mann mit dem ausladenden gelben Schirm her und hakte sich außer Atem bei ihm unter. »Ich muß dich dringend was fragen. Oder möchtest du lieber allein zum Präsidium gehen?«
    »Red nicht, frag«, sagte Fischer.
    »Deine Meinung ist doch, man soll das Leben nicht allzu persönlich nehmen.«
    »Nicht das Leben«, sagte Fischer, »sondern man sollte sein Leben nicht allzu persönlich nehmen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.«
    Liz dachte nach. Der Regen trommelte auf die Bespannung, die Passanten drängten sich in überdachten Hauseingängen aneinander. Dann sagte sie: »Man soll sein Leben nicht allzu persönlich nehmen, weil das Leben auch ohne uns auskäme, weil die Schöpfung keine Namen verteilt, weil wir als Person nur ein Teil des Lebens sind, das wir führen, und vielleicht nicht einmal der wichtigste und beste Teil. So richtig zitiert?«
    »Ungefähr«, sagte Fischer, auf unerwartete Weise erleichtert über den Regenguß und die kühle Luft und die überraschende Anwesenheit seiner jungen Kollegin, die sich ein wenig anstrengen mußte, um mit ihm Schritt zu halten.
    »Aber Menschen, die sich umbringen«, sagte Liz, »nehmen ihr Leben sehr persönlich. Machst du Selbstmördern deswegen einen Vorwurf? Verurteilst du sie?«
    »Nein«, sagte Fischer. Liz hielt seinen Arm mit beiden Händen fest. »Der Selbstmord ist Teil der menschlichen Natur, und ich würde mich nie über so eine Entscheidung erheben.«
    »Respektierst du sie?«
    »Ja.«
    »Obwohl diese Leute das Leben sehr persönlich nehmen.«
    »Eben nicht«, sagte Fischer.
    Sie erreichten den Frauenplatz auf der Rückseite des Polizeipräsidiums und beobachteten, wie Touristen die Stufen zum dunkel in den Himmel ragenden neugotischen Backsteinbau des Doms hinaufrannten.
    Vor dem bronzenen Stadtplan mit den eingearbeiteten Punkten für Blinde verlangsamte Fischer seinen Schritt. Liz keuchte. »Selbstmörder überwinden das persönliche Leben, sie legen es ab wie ein Kleid. Ihr Leben lang kamen sie sich vor wie eingenäht in eine falsche Haut, und eines Tages schaffen sie es herauszuschlüpfen. Für mich ist der Selbstmord ein Ausdruck des größtmöglichen freien Willens.«
    Liz strich über die regennassen Miniaturgebäude auf dem steinernen Sockel. »Aber viele Selbstmörder sind depressiv, sie sind krank, sie haben vielleicht keinen freien Willen mehr, sie handeln vielleicht aus Überdruß, sie wissen vielleicht gar nicht wirklich, was sie tun.«
    »Sie wissen es«, sagte Fischer. »Kurz, bevor sie es tun, wird ihnen die Tragödie ihres Lebens bewußt, und sie wollen nicht zurück.«
    »Und warum verschweigen wir, die Polizei, und die städtischen Behörden so oft, daß jemand sich umgebracht hat, und sprechen statt dessen von einem Unfall? Es ist doch nicht mehr verboten, wie im
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