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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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sie Angst, aber sie kapierte nicht, was ich von ihr verlangte. Die Frau, die heimlich ins Kino geht, aber ihre Tochter ermordet, fängt an zu wimmern und weiß nicht mal, wieso. Wieso? Wieso? wimmerte sie. Ich ließ sie wimmern da oben. Ich setzte mich auf den Stuhl, bis es aus ihr heraustropfte, da mußte ich ins Bad gehen und mein Gesicht waschen, Herrgott! Ekelhaft. Ich kam zurück und da hing sie. Hing da! Sie hat sich aufgehängt. Und ich bin hin, und hab sie rumgestoßen, von rechts nach links, von links nach rechts, ihre Beine schlugen gegen das Bettgestell, gegen den Schrank, ich hab sie gestoßen und gestoßen, und dann hab ich sie abgenommen und hätt am liebsten auf sie draufgeschifft aus Strafe. Die Frau ist weggelaufen aus dem Leben! Kennen Sie das fünfte Gebot? Du sollst nicht töten! Und dieses Gebot ist absolut.«
    »Das Gebot ist nicht absolut«, sagte Fischer.
    »Ich wußte es!« Badura schlug mit der linken Hand durch die Luft. »Sie sind ein Deserteur! In allem! Sie laufen weg vor der Verantwortung, wie so viele, so viele über die Jahrhunderte. Und der erste, der weggelaufen ist, war Jesus!« Er nickte zum Kruzifix auf dem Fensterbrett. »Der geht hin und läßt sich kreuzigen und sie bejubeln ihn und ahmen ihn nach. Das Christentum ist eine Zusammenrottung von Feiglingen!«
    »Das fünfte Gebot«, sagte Fischer, »galt nie für Kriege oder die Hinrichtung von Verurteilten. Es war die katholische Kirche, die den Selbstmord ächtete. In den heiligen Schriften ist davon keine Rede.«
    »Ha!« rief Badura. »Haben Sie Thomas von Aquin nicht gelesen? Haben Sie Dante nicht gelesen? Sie Depp! Der Selbstmord ist Frevel! Der Selbstmord ist ein Verbrechen am Menschsein. Der Selbstmord ist eine Todsünde gegen Gott. Der Selbstmord ist eine Beleidigung der Schöpfung! Der Selbstmord ist die Ausgeburt des Irrsinns. Das müssen Sie doch wissen! Und der Selbstmörder verliert das Recht auf irdische Geborgenheit für alle Zeit. Man muß seine Leiche hinrichten, man muß sie zerstückeln und verscharren, die Leiche des Selbstmörders ist Dreck! Und wer Selbstmord begeht, ist weniger als Dreck. Verstehen Sie das nicht?«
    »Sie leben im Mittelalter, Herr Badura.«
    »Sie leben im Mittelalter!« schrie Badura und fuhr sich mit dem Arm übers Gesicht; das Hemd unter seinen Achseln war schwarz von Schweiß.
    »Sie weigern sich zu glauben! Sie weigern sich, Verantwortung zu übernehmen! Sie flüchten! Sie ducken sich! Natürlich. Sonst säßen Sie jetzt nicht hier, sondern wären in Ihrem Kloster! Sie sind Judas, Sie sind Pilatus, Sie hauen einfach ab, sie sind egoistisch, sie sind selbstverliebt! Und die Selbstverliebtheit ist eine der größten Sünden, die muß am schwersten bestraft werden!«
    »Sie haben Nele Schubart bestraft, weil sie ins Kino gegangen ist und ihre Tochter mißachtet hat«, sagte Fischer.
    »Ich hab sie zur Rechenschaft gezogen! Rekonstruieren Sie das! Ich hab sie gefesselt, ich hab sie auf den Stuhl gestellt, ich hab ihr die Schlinge um den Hals gelegt, ich hab ihr die Möglichkeit gegeben, Buße zu tun, zu bereuen, den Tod ihres Kindes rückgängig zu machen! Und sie? Sie hat sich davongestohlen. Ich ging ins Bad, ich kam zurück, da hing sie. Ich verachte diese Frau!«
    Mit einem Ruck stand er auf, zeigte auf das Kruzifix und schrie: »Und ich verachte Jesus und diese sogenannten Märtyrer und alle, die sich davonstehlen, anstatt das Leben auszuhalten bis zum Ende, allem Schmerz zum Trotz, aller Leiden zum Trotz, allem Elend zum Trotz! Und du und Frau Nele Schubart, ihr laßt euch kreuzigen, ihr erhängt und erdolcht euch, ihr trinkt Gift, oder ihr erschießt euch, und ihr haltet euer Handeln für Freiheit. Aber euer Handeln ist verdammt und zeigt einen schmutzigen Geist, eine verrottete Seele!«
    Er hustete und setzte sich wieder.
    Valerie nutzte die Unterbrechung, um wieder ihre Hände auszuschütteln und ihre Finger zu kneten.
    »Noch nie«, sagte Badura, »hat ein Tier Selbstmord begangen. Denn dem Wesen des Tiers ist der Selbstmord fremd! Nur der Mensch bildet sich ein, sich über sein Wesen erheben zu können, nur der Mensch verachtet sich selbst als göttliches Geschenk, nur wir Menschen sind fähig zur Todsünde! Und Sie besaßen die Frechheit, in einen Orden einzutreten, und Sie erlaubten sich die noch viel schändlichere Frechheit, aus dem Orden wegzulaufen! Und jetzt besteht Ihr Glauben aus Paragraphen und Fingerabdrücken und medizinischen Apparaten, Sie haben Ihre Existenz
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