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Idoru

Idoru

Titel: Idoru
Autoren: William Gibson
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kleinere Gestalt, die dort saß. Ein Japaner in einem langärmeligen, buntkarierten Hemd, das bis zum übergroßen Kragen zugeknöpft war. Er blinzelte durch runde Brillengläser zu Laney hinauf »Setzen Sie sich, Mr. Laney«, sagte der Riese.
    Und Laney sah, daß diesem Mann das linke Ohr fehlte. Es war abrasiert; nur ein verknäuelter Stumpf war noch übrig.
     
    Als Laney noch bei Slitscan gewesen war, hatte seine Vorgesetzte Kathy Torrance geheißen. Die blasseste aller blassen Blondinen. Eine Blässe, die an Durchsichtigkeit grenzte; wenn das Licht in bestimmten Winkeln einfiel, schien sie kein Blut, sondern eine Flüssigkeit in der Farbe von sommerlichem Stroh in den Adern zu haben. An ihrem linken Oberschenkel ein Bild von etwas Gewundenem mit vielen Stacheln in reinem Indigo, eine teure, brutale Piktoglyphe.
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    Sichtbar jeden Freitag, wenn sie gewohnheitsmäßig in Shorts zur Arbeit kam.
    Sie beklagte sich immer, daß Prominentsein ganz schön an Bedeutung verloren habe. Weil Generationen ihrer Kolleginnen und Kollegen Raubbau daran betrieben hatten, folgerte Laney.
    Sie stellte die Füße auf den Rand eines Hotdesks. Sie trug exakte kleine Nachbildungen von Streckenwärterstiefeln mit einer Schnalle über dem Rist und fester Schnürung bis zu den Knöcheln. Er betrachtete ihre Beine, die straffe, geschwungene Linie vom den Wollsockenschäften bis zum glattgeschmirgelten Rand abgeschnittener Jeans. Das Tattoo sah aus wie ein Ding von einem anderen Stern, ein Zeichen oder eine Botschaft aus den Tiefen des Alls, dort eingebrannt, damit die Menschheit sie deutete.
    Er fragte sie, was sie meinte. Sie schälte einen Zahnstocher mit Pfefferminzgeschmack aus seiner Hülle. Augen, die vermutlich grau waren, musterten ihn durch minzfarbene Kontaktlinsen.
    »Richtig berühmt ist doch keiner mehr, Laney. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?«
    »Nein.«
    »Ich meine, richtig berühmt. Gibt nicht mehr viel Ruhm, nicht im früheren Sinn. Nicht genug für alle.«
    »Im früheren Sinn?«
    »Wir sind die Medien, Laney. Wir machen diese Arschlöcher erst zu Prominenten. Wir bringen sie hoch, und sie ziehen uns mit. Sie kommen zu uns, um erschaffen zu werden.« Vibram-Sohlenschützer stießen sich präzise vom Hotdesk ab. Sie zog die Stiefel zu sich heran, so daß die Hacken an Pobacken in Jeans zu liegen kamen – weiße Knie verbargen ihren Mund –, und balancierte auf dem Piedestal des schwedischen Drehkippstuhls hinter dem Hotdesk.
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    »Na ja«, sagte Laney und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu, »Ruhm ist das aber trotzdem noch, oder?«
    »Aber so richtig?«
    Er schaute wieder zu ihr hin.
    »Wir haben gelernt, aus diesem Stoff Geld zu drucken«, sagte sie. »Die Währung unseres Reichs. Jetzt ist zuviel auf dem Markt; das weiß sogar das Publikum. Man merkt’s an den Quoten.« Laney nickte. Er wünschte, sie würde ihn weiterarbeiten lassen.
    »Außer«, sagte sie und nahm die Knie auseinander, so daß er ihren Mund sehen konnte, »wenn wir beschließen, einen zu vernichten.«
    Hinter ihr, draußen vor dem anodisierten Maschendrahtzaun des Käfigs und dem Rahmen eines Glasrechtecks, das auch den kleinsten Hauch von Umweltverschmutzung wegfilterte, war der Himmel über Burbank total leer, wie eine vom Baumeister des Universums vorgelegte himmelblaue Farbflocke.
     
    Das linke Ohr des Mannes war von pinkfarbenem Gewebe eingefaßt, das glatt war wie Wachs. Laney fragte sich, warum man nicht versucht hatte, es zu rekonstruieren.
    »Damit ich dran denke«, sagte der Mann, der Laneys Blick richtig interpretierte.
    »Woran?«
    »Es nicht zu vergessen. Setzen Sie sich.«
    Laney nahm auf einer ausgedünnten Konstruktion aus schwarzen Metallstangen und laminiertem Hexcel Platz, die nur vage Ähnlichkeit mit einem Stuhl hatte. Der Tisch war rund und ungefähr so groß wie ein Lenkrad. Die Flamme einer Votivkerze züngelte hinter blauem Glas. Der Japaner mit dem karierten Hemd und der Nickelbrille zwinkerte heftig. Laney sah zu, wie der Koloß sich ebenfalls niederließ. Ein weiteres -12—schlankes Stuhlding verschwand auf erschreckende Weise unter einem Sumoringerrumpf, der nur aus Muskeln zu bestehen schien.
    »Jetlag ausgestanden?«
    »Ich hab Tabletten genommen.« Er erinnerte sich an die Lautlosigkeit des SST, der sich scheinbar überhaupt nicht bewegt hatte.
    »Tabletten«, sagte der Mann. »Zufrieden mit dem Hotel?«
    »Ja«, sagte Laney. »Das Vorstellungsgespräch kann losgehen.«
    »Also dann.« Er rieb
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