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Idoru

Idoru

Titel: Idoru
Autoren: William Gibson
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»Schon mal in Tokio gewesen?«
    -7-
    »Nein.«
    »Muß interessant sein da, nach dem Beben und so.« Das Walkie-talkie tickte und wisperte. »Ich muß jetzt raus und das Tor bei den Bungalows checken. Wollen Sie mitkommen?«
    »Nein«, sagte Laney. »Danke.«
    Rydell stand auf und zog automatisch die Falten seiner khakibraunen Uniformhose gerade. Er trug einen schwarzen Gürtel aus Nylongewebe, an dem Halfter mit diversen schwarzen Gerätschaften hingen, ein kurzärmeliges weißes Hemd und eine merkwürdig unbewegliche schwarze Krawatte.
    »Ich leg Ihnen die Nummer ins Fach«, sagte er.
    Laney sah dem Wachmann nach, als er das Terrakotta und die diversen Teppiche überquerte und dann hinter dem dunkel polierten Paneel der Rezeption verschwand. Er hatte mal was im Kabelfernsehen laufen gehabt, soweit Laney mitbekommen hatte. Netter Kerl. Verlierer.
    Laney blieb sitzen, bis die Morgendämmerung durch die hohen Rundbogenfenster hereinfiel und aus der abgedunkelten Höhle des Frühstücksraums das leise Klappern von rostfreiem taiwanesischem Besteck an sein Ohr drang.
    Immigrantenstimmen, irgendein Hochsteppendialekt, den die mongolischen Herrscher durchaus noch verstanden haben mochten. Echos erwachten aus dem gefliesten Boden und den Deckenträgern, die noch aus einer Zeit stammten, die einst die Ankunft von Leuten wie Laney oder seinen Vorgängern, ihrer Ökologie der Prominenz und der schrecklichen und unverletzlichen Ordnung dieser Nahrungskette erlebt haben mußte.
    Rydell hatte ein gefaltetes Blatt Chateau-Briefpapier in Laneys Fach gelegt. Eine Nummer in Tokio. Laney fand es dort am nächsten Nachmittag, zusammen mit einer aktualisierten, ungefähren Endabrechnung der Anwälte.
    Er nahm beides mit in das Zimmer, das er sich nicht mehr -8—
    leisten konnte; er konnte nicht mal mehr vorgeben, es sich leisten zu können.
     
    Eine Woche später war er in Tokio, wo der goldgeäderte Spiegel eines Fahrstuhls im aufdringlich unscheinbaren O My Golly-Building sein Gesicht reflektierte, während er in den dritten Stock hinauffuhr. Dort wurde er in den Todeswürfel K
    eingelassen, offenbar eine Franz-Kafka-Themenbar.
    Er trat aus dem Fahrstuhl in einen langgestreckten Raum, dessen Name – Die Metamorphose – mit Säure in Metall geätzt war. Angestellte in weißen Hemden, die ihre Anzugjacken ausgezogen und die dunklen Krawatten gelockert hatten, saßen an einer Bar aus kunstvoll korrodiertem Stahl und tranken. Die hohen Lehnen ihrer Stühle waren aus einem braunen, chitinösen Harz geformt. Insektenartige Mandibeln bogen sich wie Sicheln über den Köpfen der Trinker.
    Er ging weiter, hinein in braunes Licht und leises Stimmengewirr. Er verstand kein Japanisch. An den ungleichmäßig transparenten Wänden wiederholte sich in regelmäßigen Abständen ein Motiv aus Deckflügeln, geschwollenen Hinterleibern und stacheligen, gefalteten braunen Gliedmaßen. Er beschleunigte seine Schritte und lenkte sie zu einer geschwungenen Treppe, deren Stufen glänzenden braunen Schalen ähneln sollten.
    Die Augen russischer Prostituierter an Tischen gegenüber der Bar folgten ihm, stumpf und puppenartig in dem schabenfarbenen Licht. Die Nataschas – vom Kombinat aus Wladiwostok importierte Strichmädchen – waren überall. Eine plastische Routineoperation verlieh ihnen eine strenge Fließbandschönheit. Slawische Barbies. Bei einer einfacheren Operation wurde ihnen ein Peilsender für ihre Luden eingesetzt.
    Die Treppe führte in die Strafkolonie, eine Disko, die um -9—
    diese Zeit leer war. Lautlose, pulsierende rote Blitze untermalten Laneys Schritte über die Tanzfläche. Eine Maschine hing von der Decke. Jeder ihrer gegliederten Arme, die an uralte Zahnarztgeräte denken ließen, hatte eine scharfe Stahlspitze. Nadeln, dachte er, und erinnerte sich undeutlich an Kafkas Geschichte. Der Schuldspruch, der in den Rücken des Verurteilten eingraviert wurde. Die Erinnerung an nach oben gewandte, blicklose Augen ließ ihn zusammenzucken. Er verdrängte sie. Ging weiter.
    Eine zweite Treppe, eng und steiler, und er betrat den Prozeß, einen dunklen Raum mit niedriger Decke. Anthrazitfarbene Wände. Kleine Flammen zitterten hinter blauem Glas. Er zögerte, nachtblind und vom Jetlag durcheinander.
    »Colin Laney, hab ich recht?«
    Ein Australier. Riesengroß. Er stand hinter einem kleinen Tisch, und seine Schultern hingen wie bei einem Bären herab.
    Die Form seines rasierten Schädels war irgendwie merkwürdig.
    Und eine zweite, viel
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