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Idoru

Idoru

Titel: Idoru
Autoren: William Gibson
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aus dem Fenster geschaut und die Gesichter gesehen, als der Van im Schrittempo wegfuhr. Keins dieser Mädchen hatte gewußt, daß Rez dort drin hockte, unter einem Jackett, aber sie hatten es vielleicht irgendwie gespürt. Und etwas in Chia hatte ihr gesagt, daß sie nie wieder so sein würde. Daß sie sich nie wieder so wohl fühlen würde wie in dem Bewußtsein, ein Gesicht in dieser Menge zu sein. Weil sie jetzt wußte, daß es Zimmer gab, die sie nie sahen, von denen sie nicht mal träumten, Zimmer, in denen verrückte oder auch nur langweilige Dinge geschahen, -320—
    und dort kamen die Stars her. Und derlei Dinge bereiteten ihr jetzt Kopfzerbrechen bei dem Gedanken daran, daß Rez sie besuchen kommen würde. Und daß er wirklich so alt war wie ihre Mutter.
    Und all das führte zu der Überlegung, was sie den anderen in Seattle erzählen sollte. Wie konnten sie es verstehen? Zona, glaubte sie, würde es verstehen. Sie hätte wirklich gern mit Zona gesprochen, aber Arleigh hatte gesagt, sie solle jetzt lieber nicht porten.
    Der am längsten laufende Kreisel begann zu torkeln, und sie schnitten von ihm auf die Augen des Mädchens, das ihn gedreht hatte.
    Masahiko machte die Verbindungstür zwischen ihren Zimmern auf.
    Der Kreisel schwankte ein letztes Mal und fiel um. Das Mädchen schlug die Hände vor den Mund, und der Schmerz der Niederlage erfüllte ihre Augen.
    »Du mußt jetzt mit mir in die Ummauerte Stadt kommen«, sagte Masahiko.
    Chia schaltete den Fernseher mit der manuellen Fernbedienung aus. »Arleigh hat uns gebeten, nicht an den Port zu gehen.«
    »Sie weiß Bescheid«, sagte Masahiko. »Ich war ganzen Tag dort.« Er trug noch die gleichen Sachen, aber alles war gereinigt und gebügelt worden. Die Beine seiner ausgebeulten schwarzen Hose sahen seltsam aus mit den Bügelfalten. »Und am Telefon mit meinem Vater.«
    »Ist er sauer auf dich, weil diese Gumi-Typen da waren?«
    »Arleigh McCrae hat Starkow gebeten, jemanden zu unserem Gumi-Repräsentanten zu schicken, um mit ihm zu sprechen.
    Sie haben sich bei meinem Vater entschuldigt. Aber Mitsuko ist in der Nähe des Hotel Di festgenommen worden. Das hat -321—
    ihn beschämt und ihm Schwierigkeit gemacht.«
    »Festgenommen?«
    »Hausfriedensbruch. Sie hat sich an der Wache beteiligt. Ist auf einen Zaun geklettert und hat dabei Alarm ausgelöst. Ist erst wieder rausgekommen, als die Polizei da war.«
    »Geht es ihr gut?«
    »Mein Vater hat dafür gesorgt, daß sie freigelassen wird.
    Aber er ist nicht erfreut.«
    »Ich hab das Gefühl, als wär das meine Schuld«, sagte Chia.
    Er zuckte die Achseln und ging wieder nach nebenan.
    Chia stand auf. Ihr Sandbenders stand neben der Tasche auf dem Gepäckständer, mit ihrer Brille und den Fingersets darauf.
    Sie nahm ihn mit ins andere Zimmer.
    Es war ein einziges Durcheinander. Irgendwie hatte er es geschafft, es in sein Zimmer zu Hause zu verwandeln. Die Laken auf dem Bett waren verknäuelt. Durch die offene Badezimmertür sah sie zusammengeknüllte Handtücher auf dem Fliesenboden und eine ausgelaufene Shampooflasche auf der Ablage neben dem Waschbecken. Er hatte seinen Computer auf dem Schreibtisch aufgebaut; seine Schülermütze lag daneben. Überall standen offene Espresso-Minidosen herum, und sie sah mindestens drei Tabletts des Zimmerservice mit halb leeren Ramen-Porzellanschüsseln.
    »Hat jemand dort Zona gesehen?« fragte sie und schob ein Kissen und eine aufgeschlagene Illustrierte am Fußende des Bettes beiseite. Sie setzte sich mit ihrem Sandbenders auf dem Schoß hin und begann, sich die Fingersets überzustreifen.
    Sie hatte den Eindruck, daß er sie seltsam ansah, dann sagte er: »Ich glaube nicht.«
    »Bring mich so rein wie beim ersten Mal«, sagte sie. »Ich will’s noch mal sehen.«
     
    -322—
    Hak Nam. Tai Chang Street. Die Wände wimmelten von sich verlagernden Botschaften in den Schriftzeichen sämtlicher Schriftsprachen. Eingänge schossen vorbei, jeder ein Hinweis auf eine eigene, geheime Welt. Und diesmal nahm sie die zahllosen Geister, die sie beobachteten, noch deutlicher wahr.
    So mußten sich die Menschen hier präsentieren, wenn man nicht in direkter Verbindung mit ihnen stand. Eine Stadt voller schattenhafter Geister. Diesmal nahm Masahiko jedoch einen anderen Weg, und sie stiegen nicht das verschlungene Treppenlabyrinth hinauf, sondern schlängelten sich auf einer Ebene hinein, die in der ursprünglichen Stadt das Erdgeschoß gewesen wäre, und Chia erinnerte sich an
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