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Idioten auf zwei Pfoten

Idioten auf zwei Pfoten

Titel: Idioten auf zwei Pfoten
Autoren: Edda Minck
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durch den Kopf, wie es zu dem Unglück am A Traineira kommen konnte. Weißt du, ich liege jede Nacht lange wach, und dann kommen die Gedanken. Schlimme Gedanken, Alfonso, aber ich muss es wissen: Wenn ich dich jetzt fragen könnte, mein Freund, hast du mich etwa für ein Mittagessen verkauft? Oder war es Assunta, die uns an die Cães des Torre verraten hat?
    Könntest du mir in die Augen sehen, wenn ich eine Antwort von dir forderte?
    27. Juni
    Ach, mein Freund, die Einsamkeit macht seltsame Dinge mit mir. Zuweilen schrecke ich des Nachts auf, weil ich das Poltern der Mülltonne in der Rua Peso de Lã zu hören glaube … und dann fällt der Schuss. Ich öffne die Augen, liege zitternd am Boden und rufe die Sterne an, sie mögen mir endlich eine Antwort geben. Aber da ist niemand, an den ich ein Wort richten kann. Niemand, der mir irgendetwas erklärt. Und die Stunden schleichen dahin, ohne Sinn, nur durchbrochen vom unerträglichen Geheul einiger Insassen, die gänzlich verrückt geworden sind. Wer könnte es ihnen verdenken? Vielleicht ist es sogar ein Akt der Gnade, wenn man den Verstand verliert?
    Ich zermartere mir wieder und wieder das Gehirn über das, was passiert sein kann und wie ich hier wieder herauskomme. Aber je mehr ich grübele, desto bewusster wird mir meine verzweifelte Lage. Und dann muss ich mich vor mir selbst bewahren und schelte mich einen Toren. Wie konnte ich an euch, meinem geliebten Rudel, zweifeln? Sind wir nicht immer durch dick und dünn gegangen? Wie viele Kämpfe haben wir Seite an Seite bestanden? Und wie viel Spaß wir hatten. Oh, Alfonso, mir kommen die Tränen. Ich weiß, du hast deinen König noch nie weinen sehen, aber ich kann nicht anders, wenn ich an die Jahre der Freiheit und des Glücks zurückdenke. Und mit einem Schlag ist alles vorbei, mein Freund.
    Kannst du dich noch daran erinnern, wie wir einmal den Vanillepudding der alten Dona Clara vom Fensterbrett geholt haben? Die ganze Rua das Portas do Sol war in Aufruhr. Dich hätten sie beinahe noch erwischt … Und das frisch gegrillte Hühnchen vom alten José Duarte de Oliveira, das sein Sohn vom O Torradinho mitgebracht hatte. Der hat Augen gemacht, als es plötzlich weg war – und hinterher hat er überall erzählt, das heiße Ding wäre gackernd vom Teller gesprungen und durch die Tür entwischt, wie im Märchen. Am selben Abend ist er stockbesoffen aus der Bodega geflogen, als die anderen genug von seinen Geschichten hatten. Ein bisschen tat er mir ja leid, der alte José mit seiner großen aschefarbenen Brille und den trüben Augen, der Verrückte mit seinem Privatmuseum für Kugelschreiber, Schlüsselanhänger und Postkarten. Wie viele waren es noch gleich? 22 000 Postkarten und 10 389 Schlüsselanhänger … 8233 Feuerzeuge … 112 000 Kalender … Alfonso, ich bin so müde. Ich werde ein wenig schlafen, und vielleicht träume ich von einem deftigen Arroz de Bacalhau, wie ihn die Wirtin vom A Traineira immer macht. Oje, das erinnert mich an den schrecklichen Abend. Wie es geduftet hat … Die Mülltonne war bis zum Rand voll, weil am Vorabend ausgiebig der Nationalfeiertag zelebriert worden war, und es war so viel übrig geblieben … Cabrito no Churrasco und diese unvergleichlichen Pasteis de Molho, mit Hühnchen gefüllt, eingeweicht in Wasser und Essig … und der Duft von Kurkuma. Was würde ich dafür jetzt geben. Glaube mir, ich würde dem alten José das Brathähnchen ersetzen, dürfte ich nur noch einmal eine Nase voll von dem Duft der Gassen von Vila do Santo Chouriço genießen … Kannst du dich eigentlich daran erinnern, ob Dona Clara an diesem Abend gesungen hat?
    Es schüttelt mich durch und durch … Ich darf mich nicht den Träumen überlassen – sie sind die Vorboten des Irreseins und des Todes, hat mein Vater immer gesagt.
    Du weißt, ich bin ein Einzelkind, und meine Mutter ist, kaum dass sich meine Augen geöffnet hatten, verschwunden. Wenn Tante Eulalia, die Schwester meines Vaters nicht gewesen wäre … Sie hat dafür gesorgt, dass ich meine Wurzeln nicht vergaß. Ich bin immer noch einer aus dem guten Hause der Joãos aus Vila do Santo Chouriço, denen man nachsagt, dass sie alles sind, aber keine Träumer. Wir geben nicht auf. Niemals. Träumer, hat mein Vater immer gesagt, sterben früh, weil sie, der Fata Morgana eines Knochens entgegenlaufend, vom Bus nach Teixoso erwischt werden. Aber hier ist kein Bus, Alfonso, vor den ich laufen könnte – hier ist gar nichts, außer Beton. Ich
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