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Ich will doch nur normal sein!

Ich will doch nur normal sein!

Titel: Ich will doch nur normal sein!
Autoren: Tina J.
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hatte keine und wollte so gerne auch mal eine haben, aber dafür hatten wir kein Geld.
    Im Schaufenster bei der Straßenbahnhaltestelle habe ich einen kleinen süßen Teddy gesehen und habe meine Mutti dann sehr lange angebettelt, bis ich den kleinen weißen Teddy bekam, den ich im Spielzeugladen gesehen hatte. Er war nicht teuer, er war ja auch nicht groß aber er gefiel mir so sehr. Und ich bekam ihn.
    Es war schön, dass ich ihn hatte, er gehörte nur mir allein. Ich holte einen alten Schuhkarton und häkelte Kissen und Zudecke und auch Anziehsachen für meinen Teddy. Bevor ich häkeln konnte, dienten Taschentücher als Kissen und Zudecke für meinen Teddy.
    Mein Teddy hatte keinen Namen. Wieso habe ich ihm keinen Namen gegeben? Meistens habe ich ihn unter meinem Bett versteckt, in meinem Bett oder im Nachtschränkchen. Ich habe ihn nie so liegen lassen, wenn ich nicht da war – er sollte immer sicher sein. Wovor?
    Stundenlang habe ich mit meinem Teddy auf meinem Bett gesessen und gespielt. Es war so schön, mit ihm allein zu sein. In die Schule bin ich nicht gern gegangen, ich hatte immer Angst, nicht so zu sein, wie die Mädels aus meiner Klasse. Zu lachen, wenn sie lachen, mich genauso zu bewegen, wie sie und nichts verkehrt zu machen.
    Ich habe viel gequatscht oder gequasselt. Wer viel redet, wird nichts gefragt. In meinen Zeugnissen stand immer wieder, ich sei unaufmerksam, verspielt und verschwatzt.
    2. Klasse:
    Tina verbesserte ihre Leistungen.
    Ihr Betragen muss aber auch baldigst diese Tendenz haben.
    Sie ist noch zu verschwatzt und nicht selten spielt sie in der Stunde.
    Ihre Antworten beweisen dann die geringe Aufmerksamkeit.

    3. Klasse:
    Tinas Leistungen bei Ausdrucksarbeiten sind recht gut.
    Sie ist immer willig. Oft stört aber ihr Schwatzen oder Spielen.
    Sie muss dann sogar öfter aufgerufen werden, ehe sie sich besinnt.
    Tinas Gesamthaltung ist ordentlich und befriedigt.

    6. Klasse:
    Tinas Leistungsstand ist gar nicht zufriedenstellend.
    Sie muss sich im 2. Halbjahr tüchtig anstrengen um das Klassenziel zu erreichen.
    Tina ist versetzungsgefährdet!
    2. Halbjahr:
    Tina hat in der zweiten Jahreshälfte eine bessere Lernhaltung gezeigt als zu Beginn des Schuljahres. Sie freut sich auch sehr über gute Ergebnisse und hört gern ein Lob. Ihr fehlt aber Stetigkeit in der Arbeit und der feste Wille auch Schwierigkeiten zu überwinden.
    Versetzt nach Klasse 7!

    Ja, und nun war Schluss mit Leipzig, in den Ferien wurde ich aus Leipzig entfernt, aus meiner Familie entfernt. Ich wurde einfach von Jemandem, den ich nie gesehen hatte und nicht kannte, mit dem Motorrad abgeholt. Das war dann mein Vater.

    Was war passiert, wieso musste ich weg?

    Habe ich eigentlich jemals jemanden vermisst, außer meiner Mutti?
    Ich glaube nicht. Wenn ich in der Psychiatrie war, kann ich nicht sagen, dass ich je auf Besuch gewartet habe, wie die anderen Patienten.
    Da kamen Verwandte mit Blumen, Süßigkeiten und die sich gefreut haben, wenn sie ihre Leute besucht haben, sie haben sich unterhalten, umarmt und waren eben da.
    Bei mir kam nie einer zu Besuch. Ich war es halt nicht wert, besucht zu werden. Mich musste man nicht so behandeln, ich gehörte ja nicht hierhin und nicht dorthin. Ich habe auch niemanden erwartet und niemanden vermisst.
    Ich war eben dann in der Klinik und das draußen hat nicht mehr existiert, als wäre es so richtig, wie es ist. Ich habe einfach nie gedacht, es könnte anders sein oder habe es mir anders gewünscht. So ist es jetzt auch noch, und dann wundere ich mich heute mit 50 Jahren, dass es Menschen gibt, die an mich denken, die mich anrufen, die Kontakt mit mir haben wollen.

    Es war immer so, dass ich Angst hatte, Vertrauen zu jemand zu haben, denn wenn ich es wirklich einmal gehabt hatte, dann wurde ich immer bitter enttäuscht. Manchmal habe ich es auch gewagt, ein klein wenig von mir zu erzählen, habe mich dann später geschämt und zurückgezogen. Mich also immer mehr und mehr isoliert. Kein Vertrauen – keine Enttäuschung – keine Schmerzen.

    Der einzige Mensch, auf dessen Hilfe ich immer gehofft habe, war meine Mutti. Bis vor kurzem hatte ich immer noch das Gefühl, sie wird mir helfen, dass es aufhört. Sie wird es endlich merken. Dabei ist es lange vorbei und ich bin lange weg von ihr, weg von zu Hause.
    Mit 12 Jahren habe ich meine Mutti verloren, meine Brüder verloren, mein Zuhause verloren. Einfach so, von heute auf morgen war es vorbei – gab es das alles nicht mehr.
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