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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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Republik zu besuchen. Leider vereitelten die unmittelbar
    bevorstehenden Ereignisse die Verwirklichung dieses abson-
    derlichen Einfalls.
    Zwei Jahre vergingen so, von 1939 bis 1941. Dann kam
    der Monat Juni. Wir waren mit den letzten Vorbereitungen
    zur Abreise in ein Sommerlager beschäftigt, das sich in der
    freien Natur am Ufer des Njemen befand. Schon im Vorjahr
    hatten wir den Sommer in jener Gegend verbracht, und nun
    warteten wir ungeduldig darauf, daß diese wunderbare Zeit
    wieder anbrechen würde.
    Wir ahnten nicht, daß sich das deutsche Heer in diesem
    Augenblick bereits zum Angriff rüstete und der Countdown
    des Unternehmens »Barbarossa« lief.
    22. Juni 1941. Der Angriff begann vor dem Morgengrau-
    en. Um fünf Uhr fuhren wir beim Getöse der ersten von
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    den Deutschen abgeworfenen Bomben aus unseren Betten
    hoch. Minuten später erfuhren wir, was geschehen war: Die
    Deutschen hatten den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt
    gebrochen und begannen mit dem Einmarsch in Rußland. Ein
    sowjetischer Erzieher, ein Jude, stand plötzlich im Schlafsaal
    und befahl al en jüdischen Kindern, sich anzuziehen und in das
    Innere Rußlands zu flüchten. Mittlerweile waren fast überall
    Lautsprecher angebracht worden, und man hörte die Stimme
    Außenminister Molotows, der »den Krieg zur Verteidigung
    des heiligen Vaterlandes« ausrief.
    Wir machten uns mit einer ganzen Gruppe auf den Weg.
    Wir dachten, daß die Rote Armee, noch bevor wir in Minsk
    einträfen, mit den faschistischen Eindringlingen kurzen Prozeß
    gemacht, sie mit ihren surrenden Maschinen dezimiert haben
    würde. Davon jedenfalls sangen wir in unseren russischen
    patriotischen Liedern, so jedenfalls tönte es in den Reden
    der Parteigrößen, die nicht aufhörten, die Vernichtung jedes
    Gegners zu versprechen, der es wagte, den Fuß auf unsere
    Erde zu setzen.
    Auf unserer Flucht aber bot sich uns ein anderes Bild: das
    Bild der Niederlage der »ruhmreichen, unbesiegbaren Sowjet-
    armee«. Straßen und Felder waren übersät mit Toten und
    Verletzten. Brandherde breiteten sich überall aus, die Luft war
    vol er beißendem Rauch. Süßlicher Leichengeruch stieg uns in
    die Nase. Unsere Gruppe ergriff Panik, al e liefen auseinander.
    Jetzt war ich al ein. Ich wol te auf den Norden, auf Smorgon,
    zuhalten, um zu meinem Bruder Isaak zu gelangen. Doch
    die Welle der Flüchtenden riß mich mit nach Osten in ein
    kleines Dorf nahe Minsk. Dort erfuhr ich, daß weiter in den
    Osten hinein zu fliehen nicht möglich war, da die Deutschen
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    die Stadt bereits eingenommen hatten. Überall sah ich die
    schrecklichen Spuren der soeben angerichteten Verwüstungen.
    Ich hatte Mühe, in diesem Alptraum einen klaren Kopf
    zu behalten. Vor zwei Tagen erst war ich wie tausend ande-
    re geflohen. Ich war von einem umkippenden Pferdekarren
    gesprungen, ich hatte mich außen an einen überfüllten Last-
    wagen gehängt. Und dabei hatte ich nur eins im Sinn: Ich
    wollte überleben.
    Unter dem Hagel der Bomben und Granaten fing die Erde
    an zu brennen. Dichte Rauchschwaden stiegen zum Himmel,
    der sich ohnehin verdüstert hatte. Das Pfeifen der todbrin-
    genden, sprengstoffgefüllten Metallgeschosse verstärkte sich
    und kam näher. Ich mußte mich flach auf die Erde werfen,
    zu einem Schutz bietenden Felsen kriechen oder mich unter
    einer Baumwurzel zusammenkauern, um der Druckwelle der
    Explosionen zu entgehen, während über uns die hakenkreuz-
    bemalten Flugzeuge dröhnten.
    Zu Recht nannte man diese Invasion einen Blitzkrieg. Cha-
    rakteristisch dafür war, gewaltige Panzerkolonnen in das innere
    des feindlichen Gebiets vorzuschieben, ohne sich darum zu
    scheren, was an den Flanken geschah. Hatten sie einen be-
    stimmten Punkt erreicht, ließ man sie nach rechts und links
    ausschwärmen, bis sie durch mannigfache Verzweigungen zu
    den parallel operierenden Panzerkolonnen stießen. Auf diese
    Weise gelang es den Deutschen, innerhalb weniger Tage Keile
    zu schaffen, die ihre Armee von Nord nach Süd und längs
    der gesamten Frontlinie kontrollierten. Wo die Rote Armee
    operierte, wurde sie innerhalb dieser Keile eingekesselt. Die
    Lage begann, dramatisch zu werden. Wohin ich auch blickte
    – überall Brände, Verletzte und Tod …
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    Ich war sechzehn Jahre alt.
    Meiner Jugend ist es zuzuschreiben, daß ich trotz der
    furchtbaren Ereignisse noch einigermaßen bei Verstand und
    in einem gewissen Sinne gleichmütig blieb. Ich hatte damals
    keine genaue
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