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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon
Autoren: Sally Perel
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Deutschen nicht mächtig
    waren, konnten sie sich schlecht als Deutsche ausgeben und
    hatten daher erklärt, Polen, Ukrainer, Litauer, usw. zu sein.
    Sobald jedoch in den Augen der argwöhnischen Soldaten
    der geringste Zweifel bestand, befahl man ihnen, die Hosen
    herunterzulassen. Entdeckte man, daß sie beschnitten waren,
    trieb man sie fluchend zusammen und jagte sie zur nächsten
    Gruppe, die in den Wald fuhr. Dort wurden sie erschossen.
    Aber mir, mir hatten sie geglaubt.
    Überraschend höflich bat man mich, beiseite zu treten. Ich
    tat es. Unterdessen ging die Aussonderung weiter. Während
    ich wartete, hörte ich das metallische Klirren der Schaufeln,
    die die Gräber meiner Brüder aushoben, hörte ich ganz nah
    die Maschinengewehrsalven. Die Schützen gehörten zu den
    »Einsatzkommandos«, die den vordringenden Wehrmachts-
    einheiten auf den Fersen folgten, aber nicht, um sich etwa
    am Kampf zu beteiligen, sondern einzig, um unzählige Juden
    und Politruks zu ermorden.
    Ich stand noch immer da, bestürzt über die unglaublichen
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    Szenen, die sich vor meinen Augen abspielten. Diejenigen, die
    nach rechts abgingen, wurden in den Todeswald befördert,
    die linke Schlange in ein riesiges Lager getrieben, das man
    eigens für sie errichtet hatte. Ich verharrte in der Mitte und
    wartete auf mein Schicksal.
    Hin und wieder lächelte mir der Deutsche, der mir soeben
    das Leben gerettet hatte, aufmunternd zu, um mir zu bedeuten,
    daß er mich nicht vergessen habe. Ein deutscher Unteroffizier
    näherte sich. »Herr Unteroffizier, wir haben unter diesem Abfall
    der Menschheit einen jungen Deutschen gefunden«, machte
    der Soldat Meldung. Wohlwollend lächelnd nahm mich der
    Unteroffizier in Empfang.
    Ein wichtiges nationalsozialistisches Ziel war die Heim-
    holung aller Volksdeutschen ins Reich. Zur Verwirklichung
    dieses großen Unternehmens mehr oder weniger beizutragen,
    erfüllte die Soldaten mit vaterländischem Stolz. Der Weg
    war noch weit, bevor die Tausenden von Deutschen befreit
    werden konnten, die am Wolgaufer lebten, und mit mir –
    so glaubten sie – war ihnen die erste Schwalbe zugeflogen.
    Etwa eine Stunde später fuhr eine mit Soldaten und Waffen
    vollgeladene Zugmaschine vorbei. Der Unteroffizier hielt sie
    an, wechselte ein paar Worte mit dem Hauptmann und sagte,
    ich solle mich einmal auf den Kotflügel des Fahrzeugs setzen.
    Die Insassen lächelten mir zu. Ein Soldat photographierte
    die Szene, ohne zu ahnen, welch einzigartige Aufnahme ihm
    da gelungen war. Erst 1987, also fünfundvierzig Jahre später,
    hielt ich dies Photo in Händen. Ich fand es in Lübeck bei
    Ehrenfried Weidemann, jenem Soldaten, der mich damals
    gefangengenommen hatte.
    Die Zugmaschine fuhr an, nachdem man mich hinein-
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    gezwängt hatte. Das Kreischen ihrer Ketten übertönte die
    Schüsse im Wald, und die Staubwolken verbargen mir die
    unzähligen anderen, die in den Reihen des Schicksals gingen …
    Der Vorhang senkte sich und hob sich wieder, und die
    Reise in eine ungewisse Zukunft begann.
    Ich hielt mich mit Händen und Füßen im Fahrzeug des
    Feindes fest, ein Sturz wäre fatal gewesen. Die Fahrt dauerte
    nur kurz. Wir gelangten schnell in das Lager der Panzerjäge-
    rabteilung der 12. Panzerdivision.
    Der Hauptfeldwebel der Kompanie, ein vierzigjähriger
    Berliner namens Haas, empfing mich herzlich. Er verlor ein
    paar mitfühlende Worte über meinen schwachen, verwirrten
    Zustand, den Alptraum, den ich durchlebt haben mußte, und
    versprach, sich um mich zu kümmern. Ich war tatsächlich
    ausgehungert und trug nur noch Fetzen am Leib, da ich auf
    meiner überstürzten Flucht oft durch Gestrüpp und steiniges
    Gelände hatte kriechen müssen.
    Ein junger Soldat wurde angewiesen, mir etwas zu essen
    zu holen. Ich werde nie vergessen, mit welchem Heißhunger
    ich eine ganze Platte mit belegten Broten leerfegte. Einem
    anderen Soldaten wurde befohlen, mir Ausrüstung, Stiefel
    und die kleinste Uniform zu besorgen.
    Nachdem ich satt war und mich gewaschen hatte, schlüpfte
    ich in die Uniform, die mir die Wehrmacht zugedacht hatte.
    Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Bis jetzt war mein Fühlen
    und Denken von diesem endlosen Alptraum bestimmt gewe-
    sen, in dem ich keinen aktiven Anteil hatte, in dem ich nur
    Statist gewesen war. Aber alles schien geschrieben zu stehen
    und vorherbestimmt, und die Flügel des Schutzengels deckten
    und retteten mich und gaben mir die passenden Worte und
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    Verhaltensweisen
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