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Ich uebe das Sterben

Titel: Ich uebe das Sterben
Autoren: Gritt Liebing
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an den Transalpine-Run.
    Nach der Infusion fühle ich mich viel besser, und wir fahren zurück ins Hotel. An diesem Abend gehe ich mit Tina und Harald essen und verputze ein großes Steak mit Kartoffeln. Nach dem Abendessen werfe ich mir viele Baldrianpillen ein, packe mir Musik in die Ohren und falle recht schnell in einen traumlosen, tiefen Schlaf.
    Man kann es schon als Wunder bezeichnen, dass Harald und ich am nächsten Morgen in Scuol gemeinsam am Start stehen. Es ist wieder bitterkalt, aber wir sind bereit, uns auf den Weg nach Südtirol zu machen.
    Je kälter es ist, desto länger brauchen wir, um in den Tritt zu kommen. Ich bin einmal mehr eingemummelt, als wolle ich nach Sibirien. Trotzdem sind Hände und Füße eiskalt.
    Die ersten acht Kilometer geht es fast nur bergab. Die Forststraße ist breit, und Harald und ich laufen in einem angenehmen Joggingschritt, den wir nur bei kleineren Hügeln unterbrechen. Es erfordert all meine Kraft und Selbstdisziplin, einen Fuß vor den anderen zu setzen, aber der Wille ist mal wieder stärker als alles andere.
    Nach fünfundfünfzig Minuten geht es langsam bergauf. Neben uns fließt über weite Strecken ein Fluss, den wir mehrfach auf kleineren Brücken überqueren.
    Bis zur ersten Verpflegungsstation, die richtig idyllisch liegt, benötigen wir knapp unter zwei Stunden. Das bedeutet, wir haben ein Zeitpolster von mehr als dreißig Minuten. Wir essen und trinken, bevor wir weiterlaufen.
    Nun beginnt der Weg, auf den ich mich schon die ganze Zeit gefreut habe: der Steig in die Uinaschlucht. Diese Felsschlucht ist atemberaubend schön und bietet ein tolles Ambiente für den weiteren Aufstieg. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich zuerst hinschauen soll, alles, was ich sehe, ist faszinierend. Wir durchqueren sogar eine Höhle, die gespenstisch wirkt, aber großen Eindruck bei mir hinterlässt.
    Als wir die Schlucht verlassen, breitet sich vor uns eine wunderschöne grüne Almwiese aus, die von grünen Hügeln eingerahmt ist.
    Mittlerweile befinden wir uns in Südtirol. Das Zielland ist erreicht.
    Der höchste Punkt der heutigen Strecke befindet sich auf 2315 Metern, aber der Weg dorthin schlängelt sich über die Hochebene und ist angenehm zu laufen. Es gibt keine Hindernisse, keine großen Steigungen oder Gefälle. Unser Tempo ist allerdings nicht so gemütlich, denn ich will ankommen und die sechste Etappe beenden.
    Aufgrund des schönen Wetters kommen uns viele Wanderer entgegen. Die meisten lassen uns großzügig den Vortritt und feuern uns an. Das tut gut, und ich registriere wieder, dass ich mich in einem Wettkampf befinde. Manchmal vergesse ich das während dieses Transalpine-Run tatsächlich.
    Harald und ich laufen dem nächsten Verpflegungspunkt entgegen, der Plantapatschhütte auf 2108 Metern. Der Blick auf die schneebedeckten Dolomiten ist wunderschön, die Fernsicht grandios.
    Nach der Hütte führt uns der Weg nur noch bergab. Wir sind sehr angetan, dass keine unangenehmen Überraschungen in Form von steilen Skiabfahrten oder scheinbar unüberwindbaren Felsbrocken auf uns warten. Über Forststraßen, Wald- und Wiesenwege geht es ins Tal. Auch wenn die Knie schmerzen und die Füße brennen, kommen wir gut voran.
    Der nächste Kontrollpunkt ist erstmals nicht auch gleichzeitig Verpflegungsstelle. Wir erschrecken fast ein wenig, als wir auf einem kleinen Waldweg plötzlich einen Zeitmesser sehen, der unsere Startnummern einscannt. Die Verpflegungsstation befindet sich einige Kilometer weiter auf der Asphaltstraße.
    Die letzten fünf Kilometer joggen wir auf einem Radweg im Sechser-Schnitt vor uns hin. Es tut richtig gut, zur Abwechslung mal auf Asphalt zu laufen. Ich denke, ich fliege.
    Nach knapp über sechs Stunden überqueren wir nach siebenunddreißig Kilometern und 1332 Höhenmetern die Ziellinie der sechsten Etappe in Mals. Hand in Hand und lächelnd.
    Nach der Zielverpflegung brechen wir in Richtung Hotel auf.
    Tina hat einmal mehr alles perfekt vorbereitet. Täglich wartet sie mit unseren Wechselklamotten geduldig am Ziel. Und wenn wir ins Hotel kommen, sind unsere Taschen schon im Zimmer. Das ist Luxusbetreuung, wie man sie nur von Freunden bekommt.
    Harald und Tina gehen noch zum Essen in eine nahegelegene Pizzeria und bringen mir eine Pizza und ein Schnitzel mit. Mein abendliches Entspannungsprogramm auf dem Bett tut dem geschundenen Körper und dem müden Geist gut.
    An diesem Abend kreisen meine Gedanken um die nächste Etappe. Die Rappenscharte
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