Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Autoren: Stella Bettermann
Vom Netzwerk:
armen Geistesgestörten rannten den Strand auf und ab und gaben gutturale Laute von sich, weil sie nicht recht wussten, wo sie sonst hin sollten – das Gesundheitssystem im Griechenland jener Jahre bot kaumannehmbare Betreuungsplätze für geistig Behinderte, und so verbrachten manche den Tag eben am Strand, wo es frischer und angenehmer war als im Stadtzentrum. Die Touristen fehlten, weil nur Griechen sich an einem Ort wie Paraskevas erholen können.
    »Ahhh, herrlich«, seufzte Mama immer, wenn sie sich auf ihrer Liege in der prallen Sonne ausstreckte (anders als ihre Landsleute, die sich stets im Schatten der Schirme aufhielten, schätzte Mama Sonnenbäder – wieder ein Punkt, an dem sie eingedeutscht war). Dann schlief sie umgehend ein, trotz der Geräuschkulisse.
    Den größten Lärm verursachten dabei nicht die kreischenden Kinder im Wasser, sondern ihre Mütter am Strand, die ihre Schützlinge mit gellenden Stimmen aus dem Wasser befahlen, sobald diese sich länger als zehn Minuten darin aufhielten – sie fürchteten, sie könnten sich verkühlen: »Adoniiiiii! Exo, yiati tha se diro, A donis, raus, sonst verhaue ich dich!« Oder: »Eleniiiii! Exo, tha fas xil, Eleni, raus, du kriegst Prügel!«
    Adonis, Eleni und die anderen ignorierten ihre Mütter allerdings geflissentlich – und steckten die Ohrfeigen schließlich relativ klaglos ein. Sie waren das wohl schon gewohnt.
    Die nächsten Ohrfeigen kassierten sie, weil sie die nassen Badesachen nicht gleich wechseln wollten. Dann klatschte es, wenn einer den mitgebrachten Imbiss – psomi ke tiri – verweigerte, das Eis verkleckerte oder zu langsam aus der Sonne ging.
    »Jannis neben uns hat schon vier Ohrfeigen bekommen«, sagte mein Bruder.
    »Das Mädchen mit dem roten Badeanzug dort vorne aber schon fünf«, prahlte ich. »Und wenn sie nicht gleich aus der Sonne geht, kriegt sie die sechste.«
    »Pah«, machte mein Bruder, »mein Jannis hat gerade links und rechts eine bekommen, weil er mit Sand geschmissen hat. Ätsch, das zählt doppelt.«
    »Na und, die Rote spielt immer noch in der Sonne. Jetzt dauert es nicht mehr lange … da, Nummer sechs! Jetzt haben wir Gleichstand!«
    Und dann sprangen wir ins Wasser und planschten eine Ewigkeit, denn das Wasser war zwar trüb, aber so warm wie bei uns zu Hause in Deutschland nur in der Badewanne.
    Onkel Michalis und Tante Matina, die Ärzte, die beide Anhänger einer modernen Pädagogik waren, schlugen ihre Kinder allerdings nie – sie schimpften noch nicht einmal mit ihnen, wenn sie etwas anstellten, denn Tante Matina behauptete, Autorität hemme die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes. Folglich entwickelten Alexis und Anna eine Menge Persönlichkeit – sie waren schlicht nicht zu bändigen. Einmal biss der kleine Alexis meinen Bruder in den Kopf, einfach so, und freute sich an seinem lauten Weinen. Tante Matina verlor darüber kein einziges Wort. Auch Mama kommentierte den Biss nicht, doch schleuderte sie giftige Blicke gegen ihre Schwägerin.
    Ansonsten verstanden sich meine Eltern mit Michalis und Matina aber prächtig, und deshalb unternahmen wir besonders oft gemeinsam etwas, was auch mich freute, weil ich dann mit Anna zusammenkam. Anna lag altersmäßig genau zwischen meinem Bruder und mir, an sich hätten wir also auch zu dritt spielen können. Doch herrschte zwischen den beiden tiefe Feindschaft – sie waren wohl beide zu temperamentvoll, um sich miteinander zu vertragen.
    Begründet wurde die Feindschaft in einem Fischlokal in Piräus, das wir eines Abends mit unseren Eltern besuchten. Die Erwachsenen hatten Venusmuscheln bestellt, und schließlich lagen die hübschen, ausgegessenen Schalen in den Tellern vor uns, da sagte Anna: »Die nehme ich alle mit nach Hause!«
    »Nein«, erwiderte mein Bruder im Ton einer Kampfansage: »Ich will die Muscheln!« Prompt gingen sie wie Furienaufeinander los und prügelten sich ineinander verkeilt auf dem Restaurantboden.
    Onkel Michalis gelang es schließlich, die Streithähne voneinander zu trennen. Dann erbat er sich vom Kellner zwei Tütchen, in die er die Muscheln gerecht aufteilte. Mein Bruder ließ sein Tütchen gleich im Restaurant liegen. Anna aber vergaß ihres auf der Hutablage von Onkel Michalis’ Wagen, der ab dem folgenden Morgen von der Sonne beschienen wurde und noch viele Wochen nach Muscheln stank.
    Wenn Anna von Matina oder Matinas Schwester Youla in Yiayias Haus gebracht wurde, damit wir spielen konnten, ignorierten sie und mein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher