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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte
Autoren: Giorgio Faletti
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könnten Sie meinem Sohn bitte ein Autogramm geben? Pierrot hört immer Radio, und Sie sind sein Lieblingsmoderator.«
    Jean-Loup musterte ihr abgetragenes Kleid und ihr vorzeitig ergrautes Haar. Die Frau schien jünger zu sein, als sie aussah Er lächelte.
    »Aber sicher, Madame. Das scheint mir doch das Mindeste zu sein, was ich für einen so treuen Hörer tun kann.«
    Wahrend er mit einer Hand die Postkarte und den Kugel Schreiber nahm, den ihm die Frau hinhielt, war Pierrot näher getreten.
    »Du bist genauso.«
    »Genauso wie was?«, hatte Jean-Loup verblüfft gefragt.
    »Genauso wie im Radio.«
    Jean-Loup wandte sich verwundert zu der Frau. Sie hatte den Blick und die Stimme gesenkt.
    »Wissen Sie, mein Sohn, wie soll ich sagen…«
    Sie stockte, als käme sie nicht auf das Wort, das ihr in Wahrheit schon so lange geläufig war. Jean-Loup sah Pierrot aufmerksam an und erkannte in seinem Gesicht das Andersartige. Er hatte Mitleid 14

    mit ihm und der Frau.
    Genauso wie im Radio …
    Irgendwie hatte Jean-Loup verstanden, dass ihm Pierrot auf seine Weise sagen wollte, er sei genau so, wie er ihn sich vorgestellt hatte, wenn seine Stimme im Radio zu hören war. In diesem Augenblick lächelte Pierrot, das kleine Stückchen Straße erhellte sich, und die unmittelbare, instinktive Sympathie, die nur dieser sonderbare Junge zu wecken vermochte, war besiegelt.
    »In Ordnung, mein Junge. Jetzt, wo ich weiß, dass du mich hörst, kann ich sagen, dass dies ein schöner Tag ist. Deshalb ist das Mindeste, was ich für dich tun kann, dieses armselige Autogramm. Hältst du das mal kurz, bitte?«
    Er drückte dem Jungen einen Stapel Papiere und Postkarten, die er unter dem Arm getragen hatte, in die Hand, um seine eigene zum Schreiben frei zu haben. Wahrend er das Autogramm gab, überflog Pierrot das oberste Blatt und hob mit zufriedener Miene den Kopf.
    »Three Dog Night«, sagte er mit seiner sanften, ruhigen Stimme.
    »Wie bitte?«
    »Three Dog Night. Die Antwort auf die erste Frage ist Three Dog Night. Und auf die zweite ist es Alan Allsworth und Ollie Alsall«, wiederholte Pierrot in seiner ganz persönlichen Aussprache des Englischen.
    Jean-Loup erinnerte sich, dass auf dem ersten Blatt ein musikalischer Fragebogen für ein Preisausschreiben in der Nachmittagssendung abgedruckt war, den er einige Stunden zuvor zusammengestellt hatte.
    Die erste Frage lautete: »Von welcher Gruppe aus den 70er Jahren stammt das Lied Celebrate ?« Und die zweite: »Wie hießen die Gitarristen von Tempest?«
    Pierrot hatte die beiden Fragen gelesen und richtig beantwortet.
    Jean-Loup sah die Mutter verwundert an. Die hob die Schultern, als müsse man sich sogar dafür entschuldigen.
    »Pierrot hat eine Leidenschaft für Musik. Wenn es nach ihm ginge, würde ich kein Brot kaufen, sondern Platten. Er ist … Na ja, er ist, wie er ist, aber wenn es um Musik geht, merkt er sich schon dies oder jenes, was er liest oder im Radio hört.«
    Jean-Loup zeigte auf das Blatt mit den Fragen, das der Junge immer noch in der Hand hielt.
    »Willst du versuchen, auch die anderen Fragen zu beantworten, Pierrot?«
    15

    Pierrot spuckte, ohne zu zögern, fünfzehn vollkommen korrekte Antworten aus, eine nach der anderen und praktisch in derselben Zeit, die er brauchte, um die Fragen zu lesen. Und es waren keine leichten Fragen. Jean-Loup war beeindruckt.
    »Madame, das ist weit mehr, als sich dies oder jenes zu merken.
    Der Junge ist ein wandelndes Lexikon.«
    Er nahm ihm die Blätter aus der Hand, erwiderte sein Lächeln mit einem Lächeln und zeigte auf das Gebäude, aus dem Radio Monte Carlo sendete.
    »Pierrot, hättest du Lust, einen Rundgang durchs Radio zu machen und zu sehen, von wo wir die Musik übertragen?«
    Er führte ihn durch die Studios, zeigte ihm den Platz, wo die Stimmen und die Musik herkamen, die er zu Hause hörte, und spendierte ihm eine Coca-Cola. Pierrot war fasziniert von allem und besah es sich mit denselben glänzenden Augen, mit denen seine Mutter die Freude im Gesicht ihres Sohnes registrierte Doch als er dann ins Archiv im Tiefparterre kam und die Flut von CDs und Schallplatten sah, begann Pierrots Antlitz zu leuchten wie eine gute Seele beim Eintritt ins Paradies.
    Als dann alle im Sender von seiner Geschichte erfahren hatten –
    Pierrots Vater hatte, kaum dass die Behinderung seines Sohnes erkannt worden war, Mutter und Kind nur mit dem, was sie auf dem Leibe trugen, sitzen gelassen –, vor allem aber, nachdem sie Kostproben
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