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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte
Autoren: Giorgio Faletti
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all dem, was er durchgemacht hatte, fand Frank, dass er das gute Recht hatte, ein bisschen albern zu sein. Er streckte die Arme vor sich aus, als sei er der Anführer einer Karawane, die einem Konvoi von Pionieren den Weg in den Wilden Westen zeigt.
    »Frankreich, wir kommen!«
    Er und Helena lächelten über den Jungen, der in lautes Lachen ausbrach. Während Frank aus dem Augenwinkel zusah, wie Stuart sich den Sicherheitsgurt anlegte, nahm er sich Zeit, in aller Ruhe das Profil der Frau hinter dem Steuer zu betrachten, konzentriert auf den dichten Verkehr, der an der Côte d’Azur zum Sommer gehört wie die Sonne und das Meer. Mit den Augen zeichnete er die feinen Umrisse nach, und sein Blick trug wie ein Bleistift diesen Moment unauslöschlich in sein Gedächtnis ein.
    Er dachte, dass es nicht einfach sein würde, für keinen von ihnen.
    Beide würden sie ihre Energie gleichmäßig verteilen müssen – auf die Mühsal zu leben und auf die Mühsal zu vergessen. Doch sie waren zusammen, und das war an sich schon eine exzellente Voraussetzung. Er versuchte, es sich auf seinem Sitz gemütlich zu machen, und lehnte den Nacken an die Kopfstütze. Von seiner dunklen Sonnenbrille abgeschirmt, schloss er die Augen. Er wollte sich für immer einprägen, dass alles, was auf dieser Welt für ihn zählte, hier in diesem Auto war. Und er kam zu dem Schluss, dass es unmöglich war, sich mehr zu wünschen.
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Letzter Karneval
    Endlich ist alles weiß.
    Der Mann lehnt mit dem Rücken an der Wand, an der Längsseite eines rechteckigen Raumes. Er sitzt auf dem Boden, hat die Arme um die angewinkelten Knie geschlungen und beobachtet die Bewegung seiner Zehen in den weißen Baumwollsocken. Er trägt eine Jacke und eine Hose aus grobem Stoff, ebenfalls weiß, so weiß wie die Wände, die ihn einschließen. An der Wand gegenüber, fest im Fußboden verankert, steht ein metallenes Bettgestell.
    Auch das Bett ist weiß.
    Laken gibt es nicht, aber die Matratze und das Kissen sind weiß.
    Und weiß ist auch das Licht, das von der Decke fällt, geschützt von einem robusten, flüchtig weiß getünchten Metallgitter, und es scheint die Quelle der blendenden Weiße in diesem Raum zu sein.
    Das Licht geht nie aus.
    Langsam hebt er den Kopf. Seine grünen Augen blicken ohne Beklemmung zu dem winzigen Fensterchen, das sich in unerreichbarer Höhe befindet. Es ist die einzige Uhr, die er hat, um das Vergehen der Zeit zu registrieren.
    Hell und dunkel. Weiß und schwarz. Tag und Nacht.
    Er weiß nicht, warum, aber das Blau des Himmels ist nie zu sehen.
    Das Alleinsein empfindet er nicht als Last.
    Im Gegenteil, er fühlt sich eher gestört, wenn irgendein Signal aus der Außenwelt zu ihm hereindringt. Hin und wieder öffnet sich eine schmale Klappe unten in der Tür. Dann rutscht ein Tablett über den Boden, auf dem Plastikschüsseln mit Essen stehen. Das Plastik ist weiß, und das Essen hat immer denselben Geschmack. Besteck gibt es keines. Er isst mit den Fingern und schiebt das Tablett mit den Schüsseln zurück durch die Klappe, wenn sie sich von neuem öffnet. Dann bekommt er einen feuchten, weißen Lappen, mit dem er sich die Hände abwischen kann und den er sofort wieder abgeben muss.
    Manchmal wird er von einer Stimme aufgefordert, sich in die Mitte des Raumes zu stellen und die Hände vor sich auszustrecken.
    Durch einen Spion in der Tür verfolgen sie seine Bewegungen.
    Wenn sie sehen, dass er die geforderte Stellung eingenommen hat, öffnet sich die Tür, ein paar Männer kommen herein und stecken seine Arme in eine Zwangsjacke, die sie ihm fest auf dem Rücken 610

    zubinden. Jedes Mal, wenn er gezwungen wird, die Jacke anzuziehen, lächelt er.
    Er spürt, dass diese kräftigen, grün gekleideten Männer Angst vor ihm haben, und es ist ihm aufgefallen, dass sie seinem Blick ausweichen, wann immer sie können. Fast riecht er ihre Angst. Dabei müssten sie doch wissen, dass die Zeit des Kampfes vorüber ist. Das hat er dem Mann mit der Brille mehrmals gesagt, wenn er ihn in dem Raum, in den sie ihn führen, erwartet hat, wenn er immerzu reden wollte und wissen und verstehen.
    Er hat ihm auch schon mehrmals gesagt, dass es nichts zu verstehen gibt.
    Dass es einfach darum geht zu akzeptieren, was geschieht und weiter geschehen wird, so wie er ohne jede Regung akzeptiert, in all dieses Weiß eingeschlossen zu sein, bis er selbst eines Tages ein Teil davon sein wird.
    Nein, das Alleinsein empfindet er nicht als Last.
    Das Einzige,
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