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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte
Autoren: Giorgio Faletti
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Missbildung befreien sollte. Jean-Loup tötete seinen Vater und die Gouvernante, die er offenbar für seine Komplizin hielt, so dass es aussah wie ein Doppelmord mit anschließendem Selbstmord.
    Zum Schluss setzte er das Haus in Brand. Ich könnte das jetzt mit der symbolischen Bedeutung der Katharsis verknüpfen, doch das halte ich eher für eine überflüssige Floskel als für Wissenschaft. Schließlich ist er untergetaucht. Über die Einzelheiten der Zeit danach ist mir nichts bekannt …«
    Roncaille unterbrach ihn, um seine Erzählung, die in die Vorhölle einer Hexensaga geschwebt zu sein schien, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
    »Unter den Papieren, die wir in Jean-Loups Villa gefunden haben, sind wir auf das Nummernkonto einer Züricher Bank gestoßen.
    Vermutlich handelt es sich um Geld, das Marcel Legrand dort geparkt hatte, ein hübscher Haufen übrigens. Jean-Loup brauchte nur die Nummernkombination zu wissen, um Zugriff auf das Geld zu haben. Wir wissen nicht, wo er gelebt hat, bevor er hier in Monte 597

    Carlo auftauchte, unter dem Namen eines jungen Mannes aus Cassis, der bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Wovon er gelebt hat, darüber bestehen keine Zweifel. Mit der Summe, die ihm zur Verfügung stand, hätte er sein ganzes Leben lang nicht zu arbeiten brauchen.«
    Staatsanwalt Durand meldete sich zu Wort.
    »Wir müssen eine Sache im Auge behalten. Gesetzt den Fall, dass nach Meinung aller in dem Haus nur ein Junge lebte, konnte die Entdeckung des Körpers eines Jungen in seinem Alter niemandem im Entferntesten den Verdacht nahe legen, dass es noch einen anderen gab. Im Übrigen hatte das Feuer das ganze Haus zerstört und eventuelle Spuren restlos beseitigt. So wurde der Fall relativ zügig ad acta gelegt. Und das hat es diesem Irren möglich gemacht, den Leichnam seines Bruders vom Friedhof in Cassis zu entwenden, nachdem er erfahren hatte, dass er nicht in den Flammen verbrannt war.«
    Durand verstummte. Nach kurzem Zögern nutzte Frank die Pause.
    »Und die Musik?«, fragte er Cluny.
    Der Psychopathologe nahm sich Zeit, bevor er antwortete.
    »Die Beziehung dieses Mannes zur Musik ist ein Punkt, den ich noch zu vertiefen hoffe. Es sieht so aus, als sei Jean-Loups Vater ein leidenschaftlicher Kenner und geradezu besessener Sammler von seltenen Aufnahmen gewesen. Wahrscheinlich war Musik der einzige Genuss, den er seinen Söhnen zugestand. Doch es ist nicht leicht, in unseren Gesprächen viel darüber herauszubekommen. Sobald ich von Musik rede, schließt der Patient die Augen und gleitet in einen Zustand ab, in dem er völlig unerreichbar ist.«
    Alle hingen an seinen Lippen. Falls Cluny das bemerkt hatte, so zeigte er es nicht. Wahrscheinlich beschäftigte ihn, was er in den letzten Tagen in Erfahrung gebracht hatte, sogar während dieses kurzen Berichts.
    »Was ich an dieser Stelle besonders unterstreichen möchte, ist ein subtiler Aspekt der ganzen Geschichte. Die Ermordung seines Bruders hat in Jean-Loup ein unbewusstes Schuldgefühl hervorgerufen, das er wohl nie wieder loswerden wird. Er war überzeugt, und ist es heute noch, dass die Welt für den Tod seines Bruders und alles, was er wegen seines schrecklichen Aussehens hatte erleiden müssen, verantwortlich ist. Und hier liegt der Ursprung für Jean-Loups Entwicklung zum Serienmörder eines bestimmten Typs, einem Mittel598

    ding aus Missionar und absolutem Machtmenschen. Er leidet an einem fremdinduzierten Komplex, der auf familiäre Entbehrungen zurückgeht und von dem er sich nur befreien kann, wenn er dem Bruder eine vorübergehende Normalität verschafft. Das wahre Motiv, aus dem Jean-Loup all diese Menschen umgebracht und ihre Gesichter als Masken für den Leichnam benutzt hat, war die Überzeugung, die Behandlung sei nur gerecht und entschädige den Ärmsten für all das, was er durchgemacht hat …«
    Der Psychopathologe saß mit leicht auseinander gebreiteten Beinen da. Er senkte den Blick und starrte eine Weile auf den Boden.
    Als er die Augen wieder hob, waren sie voller Mitleid.
    »Ob es uns gefällt oder nicht, dieser Mann hat alles aus Liebe getan, aus einer unendlichen, bedingungslosen Liebe zu seinem Bruder.
    Das ist alles.«
    Rasch stand Cluny auf, als habe das Ende seiner Darstellung ihn endlich von einem Gewicht befreit, das er nur ungern allein getragen hatte. Jetzt, wo es ihm gelungen war, andere daran teilhaben zu lassen, fand er seine Anwesenheit in diesem Raum überflüssig.
    »Für den
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