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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte
Autoren: Giorgio Faletti
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Menschen außerhalb ihres eigenen Hauses sieht, in dem sie sich wie in einer Festung verbarrikadiert haben. Der Einzige, dem sporadische Kontakte mit der Außenwelt erlaubt sind, wenn auch nur unter strenger väterlicher Aufsicht, ist Jean-Loup.
    Sein Zwilling Lucien muss wie ein Gefangener zu Hause bleiben, die Welt darf sein Gesicht um keinen Preis sehen. Ein Fall von Eiserner Maske, um ein literarisches Beispiel zu nennen. Die beiden Jungen werden einer streng militärischen Ausbildung unterzogen, derselben, die Legrand seinerzeit den jungen Männern vom Geheimdienst zu595

    kommen ließ. Das ist die Erklärung für Jean-Loups exzellente Fertigkeiten auf den verschiedensten Gebieten, einschließlich seiner außergewöhnlichen Kampfkraft. Ich will mich nicht lange über diesen Aspekt ausbreiten, doch Jean-Loup selbst hat mir eine Reihe von haarsträubenden Einzelheiten erzählt, die sich nahtlos in die Persönlichkeit einfügen, die er später entwickelt hat …«
    Cluny machte eine Pause, als sei es besser, zum Wohle aller, wenn er die Details für sich behielt. Allmählich begann Frank zu begreifen. Oder zumindest, sich ein vorsichtiges Bild zu machen, was ja mehr oder weniger auch das war, was Cluny hatte tun müssen.
    Hier kam nach und nach eine Geschichte ans Licht, die in der Zeit schwamm wie ein Eisberg im Meer und wie dieser bisher nur einen ganz kleinen Teil von sich preisgegeben hatte. Einen Teil, der mit Blut befleckt war. Und diesen Teil hatten die Leute »Keiner« getauft.
    »Man kann getrost sagen, dass Jean-Loup und sein armer Bruder praktisch nie Kinder gewesen sind. Legrand hat es geschafft, eins der ältesten Kinderspiele der Welt, das Kriegspielen, für seine Söhne in einen absoluten Albtraum zu verwandeln. Diese Erfahrung hat die beiden Jungen fest zusammengeschweißt und unzertrennlich gemacht. Schon unter normalen Bedingungen ist die Beziehung zwischen Zwillingen enger und tiefer als die zwischen normalen Geschwistern. Die Welt ist voller Beispiele, die das belegen. Doch stelle man sich den Fall vor, wo einer der beiden behindert ist. Jean-Loup hat die Rolle des Verteidigers und Beschützers seines unglückseligen Bruders angenommen, den sein Vater behandelte wie ein minderwertiges Wesen. Jean-Loup hat mir anvertraut, die freundlichste Bezeichnung, die der Vater für seinen Bruder übrig hatte, war
    ›widerliches Monster‹ …«
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Cluny gab allen Zeit zu verdauen, was er gerade gesagt hatte. Die Dinge, die sie zu hören bekamen, bestätigten die Annahme, dass Jean-Loup ein schweres Trauma erlitten haben musste. Jetzt, wo sie Einzelheiten erfuhren, wurde jedem von ihnen klar, dass sie selbst die gewagtesten Vorstellungen bei weitem übertrafen. Und es war noch nicht zu Ende.
    »Was die beiden verband, war eine geradezu krankhafte Zuneigung. Jean-Loup erlebte das Drama seines Bruders, als sei es sein eigenes, vielleicht sogar noch stärker, noch intensiver, weil er ihn schutzlos dem Toben und den Quälereien ihres gemeinsamen Vaters ausgeliefert sah.«
    596

    Cluny legte erneut eine Pause ein. Noch einmal zwang er sie, an dem Brillenritual teilzunehmen. Frank, Roncaille und Durand trugen es mit Geduld. Die hatte er sich verdient, durch seine Gespräche mit Jean-Loup, die Begegnung mit dem Dunkel seines Geistes, die Konfrontation mit der Vergangenheit auf der Suche nach den Motiven einer Gegenwart ohne Zukunft.
    »Was der Auslöser für die Geschehnisse jener Nacht in Cassis vor vielen Jahren war, kann ich nicht sagen. Vielleicht kann man gar nicht von einer einzelnen Ursache sprechen, sondern nur von einer Ursachenkette, die im Laufe der Zeit die idealen Bedingungen geschaffen hat, um die Tragödie auszulösen. Wie Sie ja wissen, wurde in dem brennenden Haus ein Körper mit einem schrecklich verstümmelten Kopf gefunden …«
    Noch eine Pause. Die Augen des Psychopathologen wanderten durch den Raum, nicht auf der Suche nach ihren Blicken, sondern, um sie zu meiden. Als sei er mitverantwortlich für das, was er jetzt sagen würde.
    » Es war derselbe Jean-Loup, der seinen Bruder umgebracht hat.
    Seine Liebe ging so weit, dass sein kranker Geist schließlich glaubte, der Tod sei die einzige Art, ihn von seinem ›Leiden‹ zu befreien, wie er es genannt hatte. Als sei die äußere Erscheinung eine regelrechte Krankheit gewesen. Dann folgte die symbolische Geste der Befreiung, die rituelle Häutung des Gesichts, die den Zwillingsbruder von seiner
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