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Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Titel: Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
Autoren: Shoko Tendo
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großer Teich, in dem vielfarbige Koi-Karpfen anmutig ihre Bahnen zogen. Wenn es Sommer wurde, waren wir im Pool auf der anderen Seite des Hauses und spielten dort den ganzen Tag, wobei wir oft völlig die Zeit vergaßen.
    Mein Vater war ein Yakuza-Boss, aber daneben besaß er noch Firmen in drei Bereichen: Hoch- und Tiefbau, Konstruktion und Immobilien. Unser Vater war unser Held. Er liebte Autos, war völlig verrückt danach. In unserer Garage parkten immer die neuesten ausländischen und japanischen Autos, natürlich hatte er auch Motorräder, Harleys und andere, sie alle standen wie in einem Autosalon glänzend und frisch poliert nebeneinander.
    Selbstverständlich war mein Vater nie mit dem Standardmodell zufrieden, die Motoren mussten alle getunt werden. Wenn ein anderer aufgemotzter Wagen an der Ampel neben ihm stand, provozierte er gern den Fahrer, ließ den Motor wie bei einem illegalen Straßenrennen aufheulen, und sobald es grün wurde, rasten dann beide Autos los. Mein Vater fühlte sich mit dem Steuer in der Hand genauso glücklich wie ein Fisch im Wasser. Mama dagegen saß immer besorgt auf dem Beifahrersitz und warnte: »Nicht so schnell, das ist doch gefährlich!«
    Mir konnte es gar nicht schnell genug gehen.
    Am Wochenende gingen wir immer alle zusammen shoppen und dann essen. Wenn wir ausgingen, war die Krokoleder-Geldbörse meines Vaters so prall und voll wie ein Reptil, das gerade einen fetten Fisch verschlungen hatte. Bevor es losging, saß meine Mutter an ihrem Frisiertisch und kümmerte sich sorgfältig um ihre Haare und ihr Make-up. Das war für sie eine Art Ritual. Sie nahm auch immer den gleichen blassrosa Sonnenschirm mit.
    An der Hand, in der sie den Sonnenschirm hielt, trug sie an einem ihrer zierlichen weißen Finger einen Ring mit einem Opal, der im Sonnenlicht in allen Farben des Regenbogens schimmerte. An der anderen Hand hielt sie mich und sagte oft lächelnd zu mir: »Shoko-chan, wenn du einmal groß bist, dann wird der Ring dir gehören.«
    Obwohl mein Vater als Yakuza-Boss und mit den drei Firmen wirklich viel zu tun hatte, haben wir die Tage um Silvester und Neujahr 6
› Hinweis
immer zusammen verbracht.
    Silvester und Neujahr sind in Japan traditionelle Familienfeiertage, vergleichbar mit Weihnachten im Westen.
    Der Tisch war dann voller hübscher Schälchen mit dem köstlichen traditionellen Festtagsessen, das meine Mutter zubereitet hatte: kunstvoll gestaltetes Gemüse, dicke Scheiben gesüßtes Eieromelette, schwarze, süße Bohnen, goldene Esskastanien – wir konnten es jedes Mal kaum erwarten, dass wir endlich mit dem Essen anfangen durften.
    Wenn wir an Neujahr mit dem Essen fertig waren, ging die ganze Familie zu einem Shinto-Schrein in der Nähe, um die ersten Gebete im neuen Jahr abzuhalten. Wir Kinder erhielten dort Papierstreifen mit Wahrsagungen, gaben sie unseren Eltern und baten sie, den Spruch für uns zu deuten. Das machten wir jedes Neujahr so.
    Am ersten Neujahr nach meiner Einschulung schenkte mein Vater nur mir einen kleinen Glücksbringer mit einem Glöckchen. Er legte ihn in meine Handfläche und meinte: »Der ist für dich, Shoko.« Der Glücksbringer wärmte meine Hand und mich selbst bis tief in mein Herz. Ich befestigte ihn an meinem Schulranzen und in den Pausen schüttelte ich ihn, um das leise Klingeln zu hören. Oft verlor ich mich dabei ganz in den glücklichen Erinnerungen an die Neujahrsfestlichkeiten.
    Unsere Eltern waren zwar immer sehr liebevoll zu uns, erzogen uns aber auch streng und legten großen Wert auf gute Manieren. Das Hausmädchen durfte uns auch keinesfalls verwöhnen, so war es zum Beispiel verboten, vor dem Fernseher zu essen. Vor jedem Essen falteten wir wohlerzogen unsere Hände und wünschten einen guten Appetit. Nach dem Essen bedankten wir uns und räumten natürlich unsere Teller selbst ab. Unsere Erziehung war sehr traditionell, aber mir gefiel das.
    In unserem Haus herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, die Wagen der Geschäftspartner fuhren vor, dann kamen die Juweliere, die Kimonomacher und Schneider, ständig waren viele Menschen da und es war immer sehr viel los.
    Ich war die Lieblingsenkelin meines Großvaters väterlicherseits. Eines Tages, als ich drei Jahre alt war, saß ich auf seinem Schoß. Während er meinen Namen murmelte –»Shoko, Shoko« –, hatte er plötzlich einen Herzinfarkt und starb. Vier Jahre später, als ich eingeschult wurde, starb auch meine Großmutter. Nach der Beerdigung setzten
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