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Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Titel: Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)
Autoren: Shoko Tendo
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in der Dunkelheit an die Holzdecke blickte, sahen die Maserungen aus wie gruselige Fratzen, die mich so sehr erschreckten, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte.
    Ging Mutter dann später ins Bett und schlief ein, wirkte das auch beruhigend auf mich, sodass ich schließlich die Augen schließen und einschlafen konnte. Doch in der Früh hatte ich natürlich nicht genug geschlafen und war deshalb im Unterricht auch immer sehr müde und bekam kaum etwas mit. Aber ehrlich gesagt war ich in schulischen Dingen nie besonders, wahrscheinlich hätte ich also auch ausgeschlafen nicht wesentlich mehr gelernt.
    Nach sechs mühsamen und leidvollen Jahren war dann endlich meine Grundschulzeit 8
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abgeschlossen.
    Die Grundschule dauert in Japan sechs Jahre.

2 . N ERVENKITZEL
    Endlich war die Grundschulzeit für mich vorbei. Ungefähr zur gleichen Zeit begann der Abstieg meiner Schwester Maki, die zu einem Yankee 9
› Hinweis
wurde. Maki war schon in der Mittelstufe und wirkte auf mich so richtig erwachsen und absolut cool, und natürlich wollte ich unbedingt genauso werden wie sie. Dann passierte etwas, das mein Leben total verändern sollte.
    Yankee: Jugendbewegung in Japan. Der Name leitet sich vom amerikanischen »Yankee« ab. Yankees trugen wilde, bunte Kleidung oder modifizierte Schuluniformen, färbten sich das Haar, motzten ihre Autos und Motorräder auf und schwänzten die Schule.
    Es war im Frühjahr, bevor ich in die Mittelstufe kommen sollte. Spätnachts erwischte ich Maki dabei, wie sie sich aus dem Haus schleichen wollte. »Komm doch auch mit, Shoko, Liebes«, bot sie mir an, weil sie Angst hatte, dass ich sie sonst verpetzen würde. Natürlich hatte ich einerseits ein schlechtes Gewissen, wenn ich an Mama dachte, die schon wegen Maki graue Haare bekommen hatte. Denn ich wusste, dass es für sie schwer zu ertragen sein würde, wenn sich auch ihre zweite Tochter in einen Yankee verwandeln würde. Andererseits wollte ich unbedingt wissen, was Maki so alles trieb.
    Makis geschickte Finger verwandelten mich mithilfe einer dicken Schicht Schminke und auffälligen Klamotten von einer Zwölfjährigen in eine Zwanzigjährige. Ich fühlte mich schon wie ein richtiger Yankee, als wir ins Taxi stiegen und spätnachts in das Vergnügungsviertel der Stadt fuhren. Auf den Straßen sah ich jede Menge Bosozoku 10
› Hinweis
mit ihren lauten, aufgemotzten Wagen, die ich einfach anstarren musste, und überall standen Gruppen von Yankees herum.
    Bosozoku: Jugendgangs mit getunten Autos und Motorrädern. Aus der Bosozoku führte die Karriere oft direkt zur Yakuza.
    Tagsüber konnte man sich gar nicht vorstellen, dass sich dieses Viertel abends im Neonlicht in ein Yankee-Paradies verwandelte, voller Spannung und Aufregung.
    »An der Kreuzung da vorn können Sie halten.«
    Maki bezahlte den Taxifahrer, dann öffnete sie die Tür und ein kalter Wind wehte herein. Ich bekam eine Gänsehaut, als wir ohne zu zögern auf den Club »Minami« zugingen, unsere hohen Absätze klackerten auf dem Asphalt. Vor dem Fahrstuhl, der zum Club führte, sagte Maki zu mir: »Alles okay? Wenn dich einer fragt, wie alt du bist, dann sagst du einfach 18.«
    Vor dem Club warnte ein Schild: »Einritt unter 18 Jahren verboten.«
    Sah ich wirklich aus wie 18? Würde ich da tatsächlich hereingelassen werden? Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich Maki aus den Augenwinkeln dabei beobachtete, wie sie an der Kasse mit ihren rot lackierten, erwachsen wirkenden Fingern den Eintritt für uns beide bezahlte. Anders als befürchtet war es gar kein Problem, in den Club zu kommen, es war fast schon enttäuschend.
    Das Licht blitzte und blinkte, die Tanzfläche war so voll, dass man sich kaum bewegen konnte, und die Bässe dröhnten laut in den Ohren. Sie spielten Boogie Wonderland von Earth Wind & Fire, meine Füße zuckten, der Rhythmus erschütterte den Boden wie ein Erdbeben und pulsierte durch meinen ganzen Körper. Der Frühling hatte gerade erst angefangen, aber die Lichter im Club brannten heiß wie die Sommersonne. Eigentlich hätte auf dem Schild statt »Eintritt unter 18 Jahren verboten« eher stehen müssen: »Kein Yankee, kein Eintritt.« Der Lärm, die Hitze, all die Menschen, die wie wild tanzten, die Discokugel, die sich an der Decke langsam drehte und dabei das Licht in den sieben Farben des Regenbogens reflektierte – alles zusammen machte einen seltsamen Eindruck auf mich.
    Ich fühlte mich vollkommen fehl am Platze und stand etwas
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