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Ich soll nicht töten

Ich soll nicht töten

Titel: Ich soll nicht töten
Autoren: B Lyga
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und die meisten dieser Fakten standen bereits im Bericht. Autopsien wurden in einer bestimmten Reihenfolge durchgeführt: die Leiche identifizieren, fotografieren, Spurenmaterial entfernen, die Leiche wiegen und messen, dann röntgen und äußerlich untersuchen. So weit waren sie heute Abend gekommen, da nur der alte Dr. Garvin zur Verfügung stand. Der richtige Gerichtsmediziner würde morgen früh kommen, um sie aufzuschneiden, sich die Gewebe unter einem Mikroskop anzusehen und die toxikologischen Proben vorzubereiten. In der Zwischenzeit ging die Polizei laut Bericht von Erdrosseln aus. Jazz fand es einleuchtend; Erdrosseln war eine relativ leichte Art, jemanden zu töten. Keine Waffen nötig. Nur die Hände. Solange man Handschuhe trug, hinterließ man keinerlei belastende Spuren.
    Der Bericht beschrieb Jane Doe als » Weiße, zwischen achtzehn und fünfundzwanzig, keine besonderen Tätowierungen, Muttermale oder Narben«. Jazz kam zur selben Einschätzung. Er zog kurz die Augenlider auf, was Howie dazu veranlasste, zu würgen und einen Schritt zurückzutreten. Die– hellbraunen– Augen starrten ins Leere. Jazz wusste, es konnte passieren, dass sich die roten Blutkörperchen in den Netzhautadern noch Stunden nach dem Tod bewegten, ein letztes Aufflackern von Leben in einem bereits toten Körper. Diese Augen verrieten jedoch keine Bewegung, deshalb wandte er sich dem eigentlichen Grund seines Besuchs hier zu, dem, was er mit eigenen Augen sehen musste: der rechten Hand. Er wollte sich überzeugen, dass der Bericht stimmte.
    Er tat es.
    Drei Finger der rechten Hand fehlten– Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger. Nur Daumen und kleiner Finger waren noch da; die Hand würde so etwas Ähnliches wie den Teufelsgruß zeigen, während der Leichnam irgendwo in der Erde verweste. Aber wie Jazz auf dem Feld mit eigenen Augen und der Hilfe von Billys Fernglas gesehen hatte, war nur ein Finger geborgen worden.
    Der Täter hatte die anderen beiden mitgenommen. Dem bedauernswert schmalen Bericht nach den Ring- und den Zeigefinger.
    Howie räusperte sich. » Mann, bist du dir sicher bei dem Ganzen? Was, wenn es nur ein Unfall war? Sagen wir, zwei Leute draußen auf dem Feld, die es vielleicht miteinander getrieben haben und so? Und sie schlägt sich den Kopf an oder hat einen Herzinfarkt, und der Typ bekommt es mit der Angst und rennt weg.«
    » Und schneidet ihr versehentlich post mortem drei Finger ab, oder was? › Hoppla, o nein, meine Freundin ist gerade gestorben! Und ich Tollpatsch trenne ihr beim Versuch, sie wiederzubeleben, drei Finger ab! Die nehme ich mal lieber mit… Verdammt, wo ist nur dieser Mittelfinger abgeblieben?‹«
    Howie schniefte gekränkt. » Schön. Dann ist vielleicht ein Tier gekommen und…«
    » Schau dir die Schnittfläche hier an.« Jazz packte das Handgelenk der Toten, hielt die verstümmelte Hand in die Höhe und schüttelte sie leicht. » Ein glatter Schnitt. Ein Tier hätte daran genagt, die Wunde wäre unregelmäßig.«
    » Aber es fehlen mehr Finger als einer. Vielleicht hat sie ein Tier gefressen…«
    » Nein. Der Mörder hat sie mitgenommen. Als Trophäe.«
    » Warum die Finger? Dein Alter hat nie Körperteile mitgenommen. Man kann von ihm sagen, was man will, aber…«
    » Projektive Identifizierung.«
    » Wie bitte?«
    » Das ist, wenn der Mörder seine schlimmsten Eigenschaften auf das Opfer projiziert und dann dafür tötet. Warum also die Finger? Wurde er dabei erwischt, wie er etwas angefasst hat, was er nicht anfassen durfte? Jemanden, den er nicht anfassen durfte? Ist das seine Art, sich selbst zu bestrafen?«
    » Leg das weg«, sagte Howie, und Jazz merkte erst jetzt, dass er immer noch das Handgelenk des Leichnams hielt.
    Er stopfte die Hand in den Leichensack zurück, und Howie entspannte sich. » Also gut. Aber warum muss es ein Serienmörder sein? Vielleicht ist es eine einmalige Geschichte.«
    Jazz schüttelte den Kopf. » Nein. Die Finger. Der Durchschnittsmörder verstümmelt eine Leiche nicht auf diese Art. Und er nimmt insbesondere keine Trophäen mit. Aber das ist nicht alles. Er hat ausgerechnet den Mittelfinger zurückgelassen; das bedeutet, er zeigt der Polizei buchstäblich den Stinkefinger. Er sagt: › Kommt und fangt mich, wenn ihr könnt.‹ Das ist ein Serienmörder.«
    Einen Moment lang war es vollkommen still in dem Kühlraum, während Jazz die Leiche ansah und Howie Jazz.
    Jazz betrachtete die Augen, den schmalen rosa Strich der Lippen. Wenn die Leute
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