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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Autoren: Babak Rafati
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diesem Abend hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich selbst auf dem Weg war, ein Opfer meiner Fußballleidenschaft zu werden. Jeder Arzt hätte die Symptome zu deuten gewusst, wenn ich nur Hilfe gesucht hätte. Aber ich tat es nicht. Ich weigerte mich zuzugeben, wie krank ich selbst schon war.
    # # # 19.11.2011, 2:50 Uhr # # #
    Während ich nach draußen auf die dunkle Stadt starrte, reflektierten im Fensterglas im Sekundentakt die blau aufleuchtenden Ziffern der Digitaluhr am Fernseher. Puls. Puls. Puls. Die ganze Nacht über hielt mich dieses Licht schon wach. Zehn vor drei Uhr. Ich konnte es nicht ausschalten, genauso wenig wie die gleichförmig wiederkehrenden Gedankenketten in meinem Kopf.
    Für die Menschen da draußen versprach dieser 13. Spieltag der Bundesliga an diesem 19. November 2011 viel Spannung. Am Samstagabend erwartete im Topspiel des Tages der deutsche Rekordmeister FC Bayern München in der Allianz Arena den amtierenden Deutschen Meister Borussia Dortmund, für die Dortmunder eine Aufholjagd um den ersten Platz in der Tabelle und die erneute Meisterschaft. Viel Nervenkitzel versprach auch das Duell Borussia Mönchengladbach gegen Werder Bremen, die den Anschluss an den Tabellenführer halten wollten. Zwei Spiele mit den vier bestplatzierten Mannschaften. Schalke spekulierte auf einen Heimsieg in der VELTINS-Arena gegen Nürnberg, Freiburg spielte gegen Hertha BSC, Wolfsburg gegen Hannover 96. Für mich drohte der kommende Tag zu einer Katastrophe zu werden. Es waren nicht die anderen Spiele – es war das eine Spiel. Mein Spiel. Mein Endspiel.
    Dieses Spiel wäre der Schlussakt, in dem mein ganzes Leben für den Fußball, meine Erfolge, meine Träume – und jetzt auch meine Angst – kondensiert würden auf 90 Minuten und eine Spielfläche von 105 mal 68 Meter im viereckigen Kasten des RheinEnergieStadions des Kölner FC.
    Ausgerechnet hier in Köln hatte vor über sechs Jahren, am 6. August 2005, meine Karriere als Schiedsrichter in der 1. Bundesliga im deutschen Profifußball begonnen. 1. FC Köln gegen Mainz 05, mein erstes Spiel. Dieselbe Stadt, dasselbe Stadion, dieselben Mannschaften, derselbe Schiedsrichter. Ich würde wieder der Schiedsrichter sein.
    Wochenlang hatte ich damals diesem Tag entgegengefiebert, trainiert, Videoanalysen der Spieler, ihrer Taktik und ihrer Tricks angeschaut. Ich war vorbereitet. Ich würde ein gutes Spiel abliefern. Ich weiß noch, wie sicher ich auf den Platz gelaufen bin. Meine Familie, die Kollegen, Freunde, Nachbarn – alle würden mich in der Sportschau sehen, würden sehen, dass ich wieder einen wichtigen Schritt auf dem Weg nach ganz oben geschafft hatte. Ich, Babak Rafati. Der Himmel über Köln schien offen und weit, ich würde weiter aufsteigen, erst die FIFA Champions League, die großen Finalspiele – am Ende vielleicht sogar die Weltmeisterschaft, der Traum eines jeden Schiedsrichters, die Krönung meiner Karriere. Die Kölner hatten damals 1:0 gewonnen. Abends hatten wir Einstand gefeiert. Ich war erschöpft, aber glücklich gewesen. Ausgerechnet mit der Begegnung, mit der alles begann, sollte alles wieder enden?
    Dieses Glück war in dieser Nacht nur noch eine schemenhafte Erinnerung, die sich schnell verflüchtigte, immer wenn ich sie aufzurufen versuchte, um mich irgendwie noch zu motivieren für das Spiel, das jetzt immer bedrohlicher vor mir stand. Heute Nacht fühlte ich keine Freude – nur Angst vor meinem letzten Spiel. Ich könnte es schaffen, ich müsste mich nur zusammenreißen, es allen zeigen. Ich dürfte nur keine Sekunde unachtsam sein, müsste das Spielgeschehen im Griff behalten, souverän entscheiden und nur keinen Fehler machen. Und schon hing ich wieder in der Endlosschleife: »Jeder darf einen Fehler machen – nur du nicht, Babak. Fußball ist ein Geschäft, das Menschen verbrennt.« Ich kam aus dieser Fallgrube nicht mehr heraus, mir fehlte jede Kraft. Ich würde Fehler machen. Ich hatte aufgehört, an mich selbst zu glauben. Bei dem Spiel, das vor mir lag, stand der Verlierer schon fest – das würde ich sein. Ausgerechnet hier in Köln.
    Ich weiß nicht, ob es eine Art Vorsehung war, die mir gerade in dieser Stadt besonders eindrucksvoll die Rote Karte zeigen, den letzten Tritt ins Abseits verpassen wollte – oder war es nur meine innere Stimme, die diesem Zufall solche Bedeutung gab? Einfach nur meine innere Stimme, die sich in dieser Nacht mit aller Gewalt Gehör verschaffte, so laut, dass ich sie diesmal nicht
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