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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Autoren: Babak Rafati
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blieben noch 13 Stunden bis zum Anpfiff. 1. FC Köln gegen 1. FSV Mainz 05. 50.000 Menschen in der RheinEnergieArena. Millionen vor dem Fernseher, vor den Radios bei der Stadionschalte. Ein Spiel, in dem ich nur verlieren konnte. Es hatte sich alles bis zu diesem Punkt angestaut. Die persönlichen Verletzungen, die Angst vor der Zukunft, was mein Ansehen anbelangt, die Selbstzweifel, die seelische Verkrampfung und die Anspannung bis hin zur Ausweglosigkeit. Durch die Überflutung mit all den negativen Erlebnissen der letzten 18 Monate drohte ich zu ersticken. Wer in einer so existenziellen Krise ist, kann nicht mehr rational denken. Die Ereignisse in diesem zurückliegenden Zeitraum liefen wie ein Film durch meine Gedanken und ich verspürte dabei immer größeren seelischen Schmerz. Als ob jemand mir immer wieder am ganzen Körper Messerstiche versetzen würde. Ich wollte das abstellen, all die Gedanken, die Verzweiflung, diesen unfassbaren Schmerz. Ich flehte, dass es endlich aufhören möge. Aber es wurde immer mehr. Ich sah keinen anderen Ausweg, als mir das Leben zu nehmen. Am Abend vor dem Spiel geht unser Schiri-Team traditionell gemeinsam essen. Normalerweise ist das ein sehr entspannter Plausch über alles, was in der Liga so läuft, wir stimmen uns auf das Spiel ein, besprechen Problemzonen der Paarung, ihrer Spieler, Trainer und des ganzen Umfelds. Es wird kaum Alkohol getrunken, weil der Schiedsrichterjob ein Hochleistungssport ist, da muss jeder fit sein. Eigentlich bin ich als unterhaltsamer Mensch bekannt, der mit ein paar flotten Sprüchen jede noch so miese Stimmung in einer Runde innerhalb kürzester Zeit umdrehen kann. Diesmal war mir nach Späßchen nicht zumute. Ich war innerlich in Aufruhr und hatte anders als sonst keine Lust auf das gemeinsame Essen, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, denn was hätten die Kollegen sonst von mir denken sollen? Ich habe eine Führungsfunktion und muss Zuversicht und Stärke ausstrahlen. Für Fehlentscheidungen ist immer der Teamchef verantwortlich, auch wenn er von der Linie von seinen Assistenten die falschen Signale für eine Entscheidung bekommen hat. Durch Zweifel entstehen Unsicherheiten, die bei einem Bundesligaspiel nichts zu suchen haben. Schiedsrichter und Assistenten sind eine Einheit, sie müssen sich blind verstehen. So versuchte ich, meine Ängste und meinen ganzen Frust über die Situation zu überspielen, was nicht ganz gelang. Mein Team spürte die Anspannung, ich nahm an dem kargen Gespräch kaum Anteil.
    Ich war innerlich so festgefahren in meinen negativen Gedanken, dass ich mich auf der Anreise nicht mal über das bevorstehende Spiel unterhalten konnte. Ich stand wie vor einer weißen Wand, unfähig, auch nur die Namen der Trainer und die Gesichter der Spieler beider Mannschaften abzurufen. Ich hätte mit meinen Teamkollegen reden können, aber nicht nur, dass mir die Kraft fehlte, ihnen zu sagen, wie es in meinem Innersten aussah – ich schämte mich davor, mein Gesicht völlig zu verlieren. Sie hatten meine zum Teil öffentliche Demontage nach meinen Spielen in den Medien und in den Schiedsrichtergremien beim DFB seit Monaten mitverfolgt. Das konnte nicht ohne Folgen für mein Ansehen beim Team geblieben sein. Sie mussten mich insgeheim schon abgeschrieben haben, auch sie würden denken, dass dieser Spieltag mein Endspiel sein könnte, wenn wir Fehler machen würden. Jeder schien irgendwie für das kommende Spiel nur auf meinen nächsten Fehler zu warten.
    Ich hatte seit Monaten mit meinem Schicksal gehadert und meine Umgebung zunehmend als Bedrohung gesehen. Überall witterte ich Intrigen und Heckenschützen, Konkurrenten, die mir schaden oder mich ausbooten wollten. Hinter jedem sorglos dahingesagten Satz vermutete ich eine hintergründige Botschaft, über deren verborgenen Sinn ich stundenlang nachgrübeln konnte. Jedes Wort legte ich auf die Goldwaage.
    Auch körperlich war ich massiv angeschlagen. Ich hatte unter der Woche das Training mehrfach abbrechen müssen, weil die vielen negativen Gedankenschleifen mich körperlich regelrecht lähmten. Du willst laufen, du sagst »lauf los!« – aber mein Körper spielte nicht mehr mit. Er weigerte sich einfach zu funktionieren. Krämpfe, Gefühllosigkeit in den Beinen, eine totale Laufblockade – das waren Alarmzeichen, auf die ich hätte achten müssen. Aber längst hatte ich vergessen, meinen Körper wie einen Freund zu behandeln. Ich war jemand, der ihn ständig nur
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