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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
Autoren: Babak Rafati
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forderte, ausbeutete, verschliss, ohne zu hören, was in mir vorging. Für meine Fitness lief ich jeden zweiten Tag 13 Kilometer auf Zeit. Plötzlich hatte ich keine Kondition mehr. Blieb stehen. Atemlos, unfähig, einen Schritt weiterzulaufen. »Halt ein! Komm zu dir! Was machst du mit dir?«, schienen mir Körper und Seele zuzurufen. Ich schrie nur vor Wut über mein Versagen.
    Ein Schiedsrichter muss immer auf Höhe des Spielgeschehens sein. Und das bedeutet: Laufen. Spurten. Laufen. Nach sportmedizinischen Untersuchungen 10 bis 15 hochintensive Laufkilometer pro Spiel – mit bis zu 50 Sprints zwischendurch. Die Laufintensität hat sich im Spitzenfußball nach sportmedizinischen Untersuchungen in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Fußball ist sehr schnell geworden. War ich noch schnell genug? Für dieses Spiel, auch das machte mir Angst, würde ich nicht nur mental, sondern auch körperlich nicht die Leistung abrufen können, die einem in der Profiliga abverlangt wird. Was wäre, wenn ich – diesmal mitten auf dem Spielfeld – wieder diese Lähmungen spüren und nicht laufen könnte? Es ist etwas ganz Schlimmes, wenn man plötzlich dem eigenen Körper nicht mehr vertrauen kann. Statt ihn zu pflegen, nach den Ursachen zu suchen, war ich wütend, weil er nicht funktionierte, da ich hier eine zusätzliche Quelle für Fehler und Versagen befürchtete.
    Gerade jetzt ließ er mich im Stich. Dass ich selbst es war, der nicht mehr funktionierte, kam mir nicht in den Sinn. Jeder muss in meinem Gesicht gesehen haben, wie extrem unruhig ich da schon innerlich war. Ich war wie erstarrt, so wert- und wortlos fühlte ich mich. Und trotzdem ahnte ich selbst in diesem Zustand nicht, was für eine höllische und qualvolle Nacht mir noch bevorstehen würde. Dabei schien aus heutiger Sicht alles auf diesen Punkt zuzulaufen. Die meiste Zeit aßen wir schweigend, leichten Grillfisch mit Salat oder Nudeln, nie Fastfood, und starrten vor uns hin. Mir ging es nicht gut, ich war missmutig. Aber ich hatte selbst zu diesem Zeitpunkt nicht im Geringsten etwas geplant oder auch nur ansatzweise daran gedacht, dass ich mir das antun würde, was dann kam. Allerdings entwickelte der Abend eine Eigendynamik mit einer so rasanten Beschleunigung, der ich nicht gewachsen sein sollte. Als wir am Vorabend in Köln angekommen waren, wäre mir nicht in meinen schlimmsten Träumen eingefallen, welche dramatische Entwicklung mein Leben in den kommenden Stunden nehmen würde.
    Unser Schiri-Team reist zur Sicherheit immer schon am Vortag des Spiels an, damit am Spieltag alle pünktlich vor Ort sind. Noch nie hat es in der Bundesliga einen Spielausfall gegeben, weil ein Schiedsrichter fehlte. Schon als wir im ICE von Hannover nach Köln saßen, werden meine Schiedsrichterassistenten Holger Henschel und Patrick Ittrichwohl gespürt haben, dass ich angeschlagen war. Wir kennen uns von vielen Spielen, jeder weiß, wie der andere tickt. Unser vierter Mann an der Linie, Frank Willenborg, 38 Jahre alt und seit 2004 DFB-Schiedsrichter, mit 1,88 Metern und 82 Kilo nicht zu übersehen, würde uns am nächsten Tag in Köln erwarten. Patrick Ittrich ist 32, ein drahtiger Polizeibeamter aus Hamburg, 1,80 Meter groß. Mit Holger Henschel verbinden mich zehn Jahre Spielerfahrung, aus der eine Art Freundschaft gewachsen ist. Holger ist 38 Jahre alt, in Braunschweig Rechtsanwalt von Beruf, 1,84 Meter groß. Eine gewisse Körpergröße ist wichtig, wenn die Spieler auf einen zustürmen und protestieren. Seit 2000 ist er selbst DFB-Schiedsrichter, loyal, erfahren und hat im Fußball schon alles mitgemacht.
    Zuletzt im Frühjahr, am 1. April, beim Spielabbruch im Skandalspiel St. Pauli gegen Schalke, konnte er wieder miterleben, wie schnell sich das Stadion in einen Hexenkessel verwandeln kann. Schiedsrichter Deniz Aytekin hatte das Spiel in der 88. Minute beim Stand von 0:2 abgebrochen, nachdem Fans einen vollen Bierbecher gegen Schiedsrichterassistent Thorsten Schiffner geschleudert hatten und der zu Boden gegangen war. Es war die sechste Niederlage in Folge für die Stanislawski-Elf von St. Pauli und entsprechend aufgeheizt war die Stimmung. Der Fall ging bis vor das DFB-Schiedsgericht und St. Pauli bekam eine empfindliche Strafe. Trainer der Königsblauen von Schalke 04 bei diesem Spiel war Ralf Rangnick, der nur fünf Monate später, im September 2011, wegen akutem Erschöpfungssyndrom von einem Tag auf den anderen aus der Öffentlichkeit verschwand. Noch an
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