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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Autoren: Jens Bergmann
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hübsch (operiert) zu sein und sich dort aufzuhalten, wo viele Kameras laufen. Katie Price, die Mutter aller Boxenluder, hat es vorgemacht. Sie ist heute bekannter als die meisten Nobelpreisträger. Hand aufs Herz: Könnten Sie einen so geehrten Wissenschaftler aus jüngster Zeit nennen?
    Dass das Starlet in der Gunst des Publikums höher steht als der Physik- oder Chemie-Professor, ist kein Zufall. Auch wirklich bedeutsame Persönlichkeiten müssen sich heute den Gesetzen der Mediengesellschaft unterwerfen, wollen sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Wer das nicht tut, wer nicht ständig »Ich, ich, ich« schreit, hat schlechte Karten. Denn während früher Erfolg die Voraussetzung für Prominenz war, verhält es sich heute vielfach umgekehrt. Im Spiegel hieß es einmal treffend: »Selbst Jesus von Nazareth käme heute kaum darum herum, sich zu Beckmann oder Maybrit Illner zu setzen, um für seine Sache zu werben – vorausgesetzt, die wollten ihn überhaupt. Simultanübersetzungen gelten in Talkshows als Quotengift.«
    Wie man prominent wird, zeigt exemplarisch Hans Eichel, von 1999 bis 2005 Bundesfinanzminister. Ein eher blasser, spröder Typ, also keineswegs die Idealbesetzung für Talkshows. Dennoch hockte der Sozialdemokrat zu seinen besten Zeiten ständig in solchen Sendungen. Bei Sabine Christiansen gehörte er neben Guido Westerwelle quasi zum Mobiliar und brachte es in seiner Funktion als Finanzminister allein auf 21 Auftritte. Das verdankt er vor allem seinem Medienbeauftragten Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, der praktischerweise auch Christiansen beriet.
    Dem PR-Mann gelang es, seinem Schützling mit einfachen Mitteln ein einprägsames Image zu verpassen, wie er später ausplauderte: »Wir haben Eichel beispielsweise im Frühjahr 2001 mit dem Fahrrad zur Kabinettssitzung geschickt. Er ist von der Wilhelmstraße bis zum Kanzleramt gefahren. Natürlich haben wir die Presse vorher informiert. Am Abend lief in jeder Nachrichtensendung, wie Hans Eichel mit dem Fahrrad, an dem das Schild ›Bundesfinanzministerium‹ festgemacht war, mit dem Haushaltsentwurf auf dem Gepäckträger durchs Brandenburger Tor radelte. Das Bild von Hans Eichel als Sparfuchs hat sich sehr in die Köpfe der Menschen eingebrannt.« 6
    Was umso bemerkenswerter war, als es mit der politischen Realität recht wenig zu tun hatte. Der vermeintliche Pfennigfuchser hatte sich nämlich mit seiner ein Dreivierteljahr vor der sorgfältig inszenierten PR-Radtour vom Parlament verabschiedeten Unternehmenssteuerreform schwer verrechnet. Ergebnis, so die Zeit , war »das größte Geschenk aller Zeiten« an Konzerne – zulasten der Allgemeinheit. Noch im Jahr 2000 hatteder Bund 23,6 Milliarden Euro Körperschaftssteuer von den Kapitalgesellschaften eingenommen. Nach Inkrafttreten von Eichels Reform im Jahr 2001 fielen diese Einnahmen nicht nur komplett weg – die Firmen bekamen sogar noch fast eine halbe Milliarde vom Fiskus ausgezahlt.
    Reife Leistung eines Sozialdemokraten, der angeblich das Geld zusammenhält. Er blieb dann noch bis zur Abwahl von Rot-Grün im Amt, wiewohl die Staatsschulden stiegen und die Bundesrepublik noch nicht einmal die selbst mit Macht durchgesetzten EU-Stabilitätskriterien einhalten konnte.
Triumph der Minderleister
    Der Fall Eichel zeigt: Man muss kein Meister seines Fachs sein, um populär zu werden. Rudimentäre Kenntnisse reichen völlig aus; Hauptsache, man kommt gut rüber. Das lässt sich überall beobachten, wo Mr. und Mrs. Wichtig sich tummeln. So handelt es sich bei den TV-Köchen Tim Mälzer, Sarah Wiener und Horst Lichter keineswegs um Virtuosen am Herd. Die schauspielerischen Fähigkeiten der auf dem Bildschirm allgegenwärtigen Veronica Ferres, Christine Neubauer und Maria Furtwängler sind eher limitiert. Prominente neuen Typs wie Verona Feldbusch, Paris Hilton und Daniela Katzenberger tun konsequenterweise noch nicht einmal so, als hätten sie irgendein Talent.
    Ja, sogar im Sport, scheinbar eine der letzten Sphären für echte Siegertypen, trumpfen mittlerweile Minderleister auf; man nennt das auch Kournikova-Syndrom. Die russische »Tennislolita« ( Bild ) Anna Kournikova gehörte auf dem Platz nicht zu den Besten, doch ihr Sexappeal verhalf ihr zu großerMedienpräsenz und entsprechenden Einnahmen, weshalb sie sich in ihrem erlernten Beruf nicht mehr plagen musste. Mit der gleichen Masche versuchten es anlässlich der Frauenfußball-WM 2011 fünf DFB-Nachwuchs-Kickerinnen, die sich vom
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