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Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode

Titel: Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Autoren: Jens Bergmann
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damals Gerhard Schröder auf einem Foto wieder und hatten dezidierte Ansichten über seinen Charakter – aber nur die Hälfte wusste, dass er Bundeskanzler war. Und lediglich 46 Prozent der Befragten erkannten in Joschka Fischer den Außenminister, obwohl 96 Prozent ihn als Person identifiziert und starke Meinungen über ihn hatten.
    In der Welt der Prominenz kommt es auf zweierlei an: die Kunst der Inszenierung und möglichst viele wirksame öffentliche Auftritte. Was einer tut und kann, ist egal, und deshalb hat auch jeder das Zeug dazu, es ins Rampenlicht zu schaffen, wie Karl Kraus bereits 1927 feststellte: »Komödianten, Filmfritzen, Kabarettfatzken, Boxer, Fußballer, Parlamentarier, Eintänzer, Damenfriseure, Literaturhistoriker, Persönlichkeiten schlechtweg – alle können prominent sein.«
    Es gilt also die Formel: Wer es – egal wie – schafft, über einen gewissen Zeitraum hinweg öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, gehört dazu. Kurz: Prominent ist, wer prominent ist.
Die Welt ist eine Bühne
    Der Spiegel bezeichnete Prominente einmal als »Kaiser und Könige des elektronischen Hofstaats«. Tatsächlich ist ihr gehäuftes Auftreten ein Ergebnis von Demokratie und Medienboom. Zu Zeiten des Feudalismus hatten allenfalls Hochwohlgeborene und manchmal deren Mätressen die Chance, berühmt oder berüchtigt zu werden: Kaiser und Könige, Päpste und Kardinäle.
    Das änderte sich mit dem Aufstieg des Bürgertums. Nun war es möglich, durch eigene Leistung auf sich aufmerksam zu machen: als Künstler, Denker, Wissenschaftler, Erfinder, Entdecker, Unternehmer, Staatsmann oder Revolutionär. Wer etwas Besonderes konnte oder bewirkt hatte, wurde mit etwas Glück bekannt und ging mit noch mehr Glück ins kollektive Gedächtnis ein.
    Hinter solchen Karrieren steckte nur selten ein großer Plan – bis es zum Siegeszug des Showbusiness kam. Die amerikanischen Filmmoguln im Hollywood der Zwanzigerjahre erkannten als Erste, dass Stars die Menschen ins Kino locken: große Namen = großer Umsatz. »In diesem Geschäft«, sagte der legendäre Filmproduzent Louis B. Mayer, »geht es darum, Idole zu machen.« Alles andere sei Nebensache. Und so wurden Idole gemacht: Der moderne Promi ist eine Erfindung aus Hollywood.
    Das Publikum wollte nicht nur famose Schauspieler sehen, sondern auch alles über sie wissen, es wollte den ganzen Menschen. Weil man in der Unterhaltungsbranche ungern etwas dem Zufall überlässt, wurden die Stars sorgfältig für die Öffentlichkeit hergerichtet. Damit sie nicht aus der für sie vorgesehenen Rolle fallen konnten, schrieben ihnen die Public-Relations-Abteilungen der Filmbranche genau vor, was sie zu tun und zu lassen hatten – auf der Leinwand wie im Privatleben. »In denZwanziger- und Dreißigerjahren nutzten die Studios ihre starke Position, um sich auch juristisch im Standardvertrag ihre Kontrolle über das Star-Image zu sichern«, schreibt der Medienwissenschaftler Stephen Lowry. 2 So durfte der Schauspieler nur mit Einverständnis seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit auftreten. Der aber konnte den guten Namen und Bilder des Stars nach Belieben zu PR- und Werbezwecken nutzen. »Zuschauerreaktionen in Form von Fanpost, Fragebögen, Kassenergebnissen und Aussagen der Kinobesitzer wurden bei der Planung und Entwicklung der Star-Images berücksichtigt und bestimmten unter anderem den Wert, den ein Star für das Studio besaß«, so Lowry weiter. »Wenn ein Image festgelegt war, wurde es zu einem wesentlichen Faktor der Gestaltung weiterer Filme. Drehbücher wurden extra als sogenannte Starvehikel geschrieben, sie bestimmten die ›Eigenschaften‹ des Stars, die Gestaltung des Protagonisten und die Muster der Erzählung.«
    So wenig Filmhelden mit echten Menschen zu tun haben, so wenig hatte das öffentliche Image, das die PR-Leute für die Publikumslieblinge kreierten, mit deren wirklicher Biografie zu tun. Idole wie Greta Garbo, Marlene Dietrich oder Clark Gable wurden systematisch aufgebaut. Und bereits 1927 im Stummfilm »It« mit Clara Bow das erste It-Girl, das Mädchen mit dem gewissen Etwas – achtzig Jahre vor Paris Hilton. Wie streng es im Geschäft mit den großen Träumen auch noch lange Zeit in Europa zuging, zeigt die Geschichte von Claudia Cardinale. Als junge Frau gewann sie 1957 bei der Wahl zur schönsten Italienerin Tunesiens in ihrer Geburtsstadt Tunis den ersten Preis, der sie zu den Filmfestspielen in Venedig führte. Dort wurde Franco Cristaldi,
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