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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle
Autoren: Katinka Buddenkotte
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kleinen Missgeschicke des Lebens waren. Bei dieser Gelegenheit streifte ich eine Vase mit Papageienblumen, die mit einem dumpfen Knall zu Boden fiel. Als Kontrastgeräusch ließ ich ein glockenhelles, hysterisches Lachen erschallen.
    Herr Niemeyer glotzte mich an; mir war, als würde seine Hand unter dem Tisch nach dem Knopf für die Falltür tasten. Stattdessen zog er ein Foto hervor. Es zeigte ihn selbst im Reiterdress, ein flottes Pferdchen neben ihm.
    »Das ist ja ein Zufall«, sagte er schließlich, »ich nehme doch auch immer an der Fuchsjagd hier teil. Da müsste ich Sie doch eigentlich kennen! In welchem Verein reiten Sie?«
    Hatte der Mann mich durchschaut? War das eineneue Falle? Vorsichtshalber blieb ich bei meiner genialen Taktik und ließ Alexis tapfer weiterkämpfen:
    »Ähem … meine Pferde stehen nicht hier … sie sind bei meiner Familie … bei meinen Ländereien.«
    Ich wollte noch »bei meinen Ölquellen auf meiner Privatinsel« hinzufügen, aber Herr Niemeyer wechselte plötzlich und unvermittelt das Thema.
    »Eh, nun gut. Das war ja eine recht interessante Bewerbung von Ihnen. Sagen Sie, wie schätzen Sie die Musikbranche derzeit ein?«
    Dieser jähe Umschwung zur Fachsimpelei brachte mein Konzept durcheinander. Meine Redegewandtheit ließ kurz nach: »Och, ganz gut so.«
    Pause. Große Pause. Herr Niemeyer half mir wieder ein bisschen: »Ich meine, wenn ich Ihnen jetzt ganz konkret erklären würde, wir bringen die No Angels wieder ganz groß raus, was würden Sie dazu sagen?«
    Niemeyer sah mich lauernd an. Ich lächelte, wie ich fand, entwaffnend. Das war die Sprache, die ich verstand. So wurden im Denver der frühen Achtziger Geschäfte gemacht. In alter Frische antwortete die Alexis aus mir: »Ich würde sagen, dass sie ein ganz ausgebufftes Schlitzohr sind. Sie gefallen mir, Niemeyer.«
    Das hatte ich jetzt wirklich nicht gesagt. Doch. Stille. Räuspern. Erneute Stille. Immerhin war der Mann vollkommen fassungslos. Er legte seine raffinierte Tarnung ab:
    »Sagen Sie mal, Frau …«, er blätterte hektisch in meinen Unterlagen, »Frau Buddenkotte, was wollen Sie eigentlich hier?«
    Das war das Ende. Die kannten meinen richtigen Namen, es war alles verloren. »Hauptsache ein guter Abgang«, raunte Alexis mir im Inneren zu. Ich tat wie geheißen. Ich sprang auf, riss etwa zwanzig goldene Schallplatten mit mir und sprach: »Das ist eine Unverschämtheit, was Sie mir da unterstellen. Sie hören von meinen Anwälten.«
    Dann rauschte ich ab, genau bis zum Auto rauschte ich. »Wie war’s denn?«, hörte ich einen aufgeregten Vassili wie durch einen akustischen Nebelschleier fragen. Das Letzte, was ich mich sagen hörte, war: »Der Mann könnte uns gefährlich werden. Lad’ ihn zum Lunch ein, Steven.«
    Dann fiel ich, ganz ladylike, in tiefe Ohnmacht.

Oft sind es die kleinen Dinge, die mich faszinieren. Zum Beispiel diese Taste auf meinem alten Staubsauger, die mit dem Steckdosen-Symbol. Man drückte einfach darauf und ssssst, schnappte sich das Biest das Kabel und verschluckte es, röderröderröder. Ich wusste, es funktioniert irgendwie, konnte aber nie voll und ganz verstehen, wie genau, da ich nicht sehen konnte, was im Inneren meines Staubsaugers vorging. Also verschaffte ich mir Einblick – brutal, doch im Sinne der Wissenschaft. Meine Beobachtungen dieser Versuchsreihe lassen sich zu einer simplen, aber wegweisenden These zusammenfassen: Neugier tötet nicht nur Katzen, sondern auch Elektrogeräte.
    Ich habe jetzt wieder so einen neuen altmodischen Staubsauger zum Kabel-Selbstaufwickeln. Und ich wage zu behaupten, dass die Macht des Wissens über das Innenleben meines alten neuen Staubsaugers in etwa genauso groß ist wie das Generve mit dem Aufrollen beim neuen alten. Seither muss oder will ich einige Dinge gar nicht mehr so genau wissen.
    Zum Beispiel wollte ich nie wissen, wie das tatsächlichfunktioniert, wenn ich eine SMS mit der Botschaft »Flirt« an eine hundertstellige Nummer schicke und sofort Kontakt bekomme mit »coolen Leuten, die genauso sind wie du«. Allein den Gedanken, dass es Leute wie mich gibt, die gleichzeitig cool sind, fand ich ziemlich gruselig.
    Es begab sich aber, dass eine verheerende Dürre über mein Konto hereinbrach und ich mich gezwungen sah, selbst an dem geringfügigsten aller Joblöcher zu graben. Für 400 Ocken im Monat bewarb ich mich trotz besseren Wissens bei einem dieser Call-Center, die damit um »nette Kolleginnen« buhlten, dass es sich
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