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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle
Autoren: Katinka Buddenkotte
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diesem Moment gab mir meine nette Kollegin ein Zeichen, dass unser Chef gerade meinen Computer anzapfte. Ich nahm alle Ekelhaftigkeit meines verdorbenen Charakters zusammen und schrieb Kerstin: »Schatz. Es tut mir leid. Ich stottere nicht nur, sondern bin außerdem noch taubstumm.«
    Ich weiß nicht mehr, ob oder was Kerstin geantwortet hat, denn ich war so bewegt von meiner eigenen Niederträchtigkeit, dass ich die Tastatur aus dem Fenster schleuderte. Vielleicht habe ich deswegen bis zum heutigen Tag keine Kohle von meinem ehemaligen Arbeitgeber gesehen.

Katrin hatte vor vier Jahren Gebärmutterkrebs.
    Ich bin mir jetzt sicher, dass man einen Text mit diesem Satz anfangen darf, denn Katrin fängt jeden Text mit diesem Satz an: »Hallo, ich bin die Katrin, ich hatte vor vier Jahren Gebärmutterkrebs. Am Samstag wird mein zweites Patenkind konfirmiert, da kann ich am Donnerstag nur ganz schlecht die Schicht übernehmen, hättest du da nicht Zeit, Katinka?«
    Wie abgebrüht muss man bitte sein, um dieser tapferen Frau mit »Nein« antworten zu können? Sie hatte vor vier Jahren Gebärmutterkrebs. Also sage ich: »Ja, schon. Aber ich habe das noch nie gemacht.«
    Katrin lacht mich an, ihre von Naturkosmetik rot geschrubbelten Apfelwangen glühen vor Enthusiasmus: »Deswegen zeige ich dir das jetzt. Es kommt ja nur auf die positive Ausstrahlung an. Kannst du schon mal den Bus einräumen? Ich muss noch mal eben an den Computer …«
    Klar kann ich den Bus einräumen, so schwer wird das nicht sein. In die oberste Schublade kommen dieEinwegspritzen, nach Größe geordnet, dann die Kondome, die Taschentücher, unten das Gleitgel. Broschüren muss ich nicht einräumen, davon sind noch genug da, die nimmt eh keine von den Frauen mit.
    Ich koche Tee und koche Kaffee, während Katrin im Büro wichtige Telefonate führt: »Dann sehen wir uns morgen, mal so richtig ausquatschen, jetzt hab’ ich gar nicht so viel Zeit, Mutti, ich arbeite ja sechzig Stunden die Woche, und noch ehrenamtlich, obwohl ich ja aufpassen sollte, wegen dem Krebs vor vier Jahren.«
    Ich ertappe mich dabei, wie ich denke, dass Katrin ihre Arbeitszeit bestimmt extrem herunterschrauben könnte, wenn sie gewisse Informationen einfach mal als bekannt voraussetzen würde. Ich warte unten vor dem Bus, zwanzig Minuten im strömenden Regen.
    »Jetzt müssen wir uns aber beeilen«, belehrt mich Katrin, während sie sich auf den Fahrersitz hievt, »du könntest ja schon mal das Tor aufmachen, das wäre total nett von dir.«
    Obwohl Katrin vor vier Jahren Gebärmutterkrebs hatte, ist sie sehr verständnisvoll gegenüber Leuten wie mir, die nicht so auf Zack sind wie sie. Ich steige also wieder aus, gehe an dem Tor vorbei, an dem Katrin gerade vorbeigegangen ist, und öffne es. Sie fährt den Bus durch das Tor, ich schließe das Tor und steige wieder in den Bus ein.
    »Hast du auch die Brötchen eingepackt?«, fragt mich Katrin, während wir uns durch den Feierabendverkehr Richtung Babystrich vorarbeiten. Natürlich habe ich die Brötchen eingepackt, die ich Stunden zuvor geschmierthabe. Ich reiche Katrin die Tüte zur Inspektion, natürlich kann ich bei meiner ersten Schicht nicht alles richtig machen.
    »Am besten, du machst beim nächsten Mal noch mehr Nutella-Brötchen, die gehen einfach am schnellsten weg«, sagt Katrin und schafft es, noch zwei Nutella-Brötchen während des Einparkens zu verputzen.
    »Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen, ich war nur im Stress.«
    Ich verkneife mir eine Antwort wie »Och, das sieht man gar nicht« und frage auch nicht blöd nach, ob die Brötchen nicht doch vielleicht für die Junkies bestimmt waren. Die Katrin wird’s schon wissen, sie hatte ja vor vier Jahren Gebärmutterkrebs.
    Katrin und ich stellen die Schilder nach draußen, klappen die Bänke um und stellen den Kaffee im Bus auf den Tisch.
    »Hör mal, Katinka, mit den Kondomen … ich persönlich ordne die ja immer so nach Motiven, das ist so eine Gewöhnungssache, das machst du dann am Donnerstag halt genauso, dann passt’s schon.«
    Nach Motiven ordnen? Ich sehe Katrin dabei zu, wie sie die achtlos von mir in die Schublade geworfenen Kondome nach Tiger-, Löwen- und Schlangen-Aufdruck stapelt. Wessen Gewöhnungssache soll das sein? Fragen die Freier nach Gummis mit Schlangenaufdruck? Warum gibt es für fünfzehnjährige Huren keine mit Teddybären drauf?
    Ich stelle mir keine weiteren Fragen, weil Katrin sie stellt und auch direkt beantwortet: »Warum
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