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Ich hatte sie alle

Ich hatte sie alle

Titel: Ich hatte sie alle
Autoren: Katinka Buddenkotte
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absoluter und endgültiger Freudlosigkeit vorgetragen werden muss. Im Kellnerwitzjargon wird dieser Kunstgriff als »Lakonie« bezeichnet.
    Und da sowohl das lakonische Antworten als auch der Kellnerwitz an sich fast ausgestorben sind, ist der Gast umso erstaunter, wenn er endlich merkt, dass der abgedroschenste Kellnerwitz gerade direkt vor ihm steht; und auf diese Verwunderung folgt schließlich eine unbändige Freude, Entzückung gar, die sich sowohl kollektiv als auch ganz individuell ausdrückt.
    Sagt die Kellnerin also lakonisch: »Ist aber nichts reingefallen«, dann freuen sich die Gäste, und zwar diebisch. Zwar zeigen sie es nicht sofort. Impulsivere Zeitgenossen murmeln schon mal scheu: »Das ist ja auch schon fast eine Unverschämtheit.« Aber sie schauen mich nicht direkt dabei an. Sie bleiben auch nicht an der Theke stehen, um mich zur Rede zu stellen; schon gar nicht verlangen sie nach dem Geschäftsführer; noch nie hat einer seine Bestellung zurückgehen lassen. Dieallermeisten von ihnen machen große Augen und schnappen sich dann das jeweilige Trinkgefäß, welches sie wie den heiligen Gral umfassen und schnellen Schrittes zu ihrer Tischgesellschaft tragen. Dort wird es dann betrachtet, das Wunder aus der Servicewüste. Bestaunt wird es wie das liebe Jesuskind, ein Frohlocken und Jauchzen ist nicht selten zu hören, oft recken sie die Köpfe gen Theke, um mir, wie ich glaube, nicht nur bewundernde, sondern auch dankbare Blicke zuzuwerfen.
    Der eine oder andere fürchtete vielleicht, einen stinklangweiligen Abend mit seinen Gefährten zu verbringen, an dessen Ende er nur hätte resümieren können: »Da haben wir aber auch schon mal besser gegessen.« Jetzt hat er eine Story für seine Enkelkinder, mit der nicht ein jeder aus der Nachkriegsgeneration aufwarten kann. Er wird diese unglaubliche Geschichte vielleicht mit den Worten beenden: »Wir haben nicht mehr geglaubt, dass wir lebend aus dem Laden rauskommen.« Er wird wie ein echter Held dastehen. Und ich wie Stalingrad.
    Andere waren vielleicht schon bereit, aufgrund der Trostlosigkeit ganz andere Register zu ziehen und endlich die Affäre mit der Schwester der Begleitung zu beichten. Aber der brühwarme Wein oder die angeschlagene Bierflasche retten den Abend, vereiteln diesen Beziehungsausbruchsversuch, nur weil ich einmal ganz subtil vorgeführt habe, wozu eine Frau fähig ist, wenn sie sich überfordert fühlt.
    Manch stocksteifer Finanzbeamter blüht plötzlichauf und weiß Anekdoten zu erzählen, die stets mit dem Satz beginnen: »In Amerika könnten wir die jetzt verklagen.« Und plötzlich steht er im Mittelpunkt des Geschehens, er gilt als Experte und wird schließlich sogar von einer langjährigen Kollegin vertraulich nach seinem Vornamen gefragt.
    Manch gestrafte Mutter von vier potthässlichen Kindern denkt sich das, was man sonst nur ohne zu denken ausspricht, nämlich: »Hauptsache, alle sind gesund.«
    Manch Studentin mit Motivationshänger wird gar aufspringen und sich noch am selben Abend hinter ihre Bücher klemmen, nur um nicht nach meiner voraussichtlichen, sehr baldigen Kündigung an meiner Arbeitsstelle zu stranden.
    Und während ich mit einer groben Feile Ruß vom Baguette kratze, einen Caipirinha präpariere, bis er aussieht wie ein Stück Bernsteinzimmer im Cocktailglas oder bedächtig eine Orangensafttüte schwenke, inhaliere und murmle: »Der geht doch noch«, begreift auch der letzte Amateursäufer, dass er sich ein neues Hobby zulegen sollte.
    Ich tue Gutes und zeige Transparenz. Ich zeige den Leuten, dass wir alle keine Profis sind, nicht vor und nicht hinter der Bar. Ich nehme ihnen ihre Ängste, und ich nehme ihr Trinkgeld. Sie geben mir reichlich davon, mehr als meinen Kollegen. Sie nennen es wahrscheinlich nicht Trinkgeld, sondern milde Gabe, Mitleidsbonus oder Akt der Menschlichkeit. Ich nenne es Praxisgebühr.

»Warum gehen wir nicht einfach mit und gucken, was passiert?«, fragte Sandra und rannte wie ein emsiges Eichhörnchen im Zimmer herum, um ihre Siebensachen zusammenzusuchen: fünf Kippen und zwei Schuhe. Wir anderen vier sahen uns an, Halbfinale der Weltmeisterschaft im Stirnrunzeln.
    Jede von uns hatte einen guten Grund dafür, nicht mit Nicolas zu dieser absurden TV-Show zu gehen. Amanda hatte den wohl gewichtigsten: Wer zweihundertdreißig Kilo Lebendgewicht zu Fuß etwa vierzig Häuserblocks durch Hollywood bewegen muss, braucht nicht die von Nicolas angekündigten »höchstens zehn Minuten«,
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