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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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der Tod von überragender Wichtigkeit sei, unvergleichbar mit irgendeinem anderen Ereignis, das im Lauf des Lebens eintrete, doch er setzte dagegen, dass die eigene Kompetenz nicht ausreiche, um darüber zu entscheiden. Diese Kompetenz liege einzig und allein bei Gott. Und er traf schließlich eine andere Schlussfolgerung als Boulez: »Ich will mir nicht den Schluss machen, ich will, dass mir der Schluss gemacht wird.«
    Zum Begräbnis von Dr. Wolfgang Steinecke, dem Grün der und langjährigen Leiter der Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, war im Dezember 1961 die internationale Musikwelt nach Darmstadt gekommen. Boulez und Stockhausen hielten beide eine Grabrede: der eine, Atheist, nahm Abschied für immer, der andere, Gläubige, winkte gen Himmel und redete mit dem Verstorbenen. Das war Hella Steinecke ein großer Trost. Zum Tod des Komponisten Karl Amadeus Hartmann hielt Stockhausen, obwohl die beiden einen Zwist miteinander gehabt hatten, ebenfalls eine Rede, die in dem Satz gipfelte: »Der Tod kennt keine Vergeltung.« Und in Hamburg würdigte er am 9. November 1965 während eines Konzerts den soeben verstorbenen Edgar Varèse. Zu solchen Anlässen kamen ihm spontane, gute Worte, und selbst Atheisten wie Helms, Metzger oder Boulez schätzten in diesen Momenten seine gläubige Zuversicht.
    In Gesprächen mit dem Pianisten Aloys Kontarsky, einem gern gesehenen Gast, hatte Stockhausen eines Abends in Kürten beim Essen lange über das von ihm postulierte Jenseits diskutiert. Kontarsky war Atheist wie Boulez, respektierte aber Stockhausens Religiosität. Stockhausen versuchte, Kontarsky zu überzeugen, und erläuterte seine Ansicht, das Leben nach dem Tod sei ein geistiger Zustand, den es gelte im Diesseits vorzubereiten. Wenn man sich den zukünftigen Zustand nicht schon hier auf Erden erschaffe und ihn sich vorstelle, dann lande man im Nichts. Wobei Nichts nicht etwa bedeute, frei von allem zu sein, also Nirwana, sondern Trostlosigkeit, Verknöcherung, Materialismus. Er fragte Kontarsky schließlich: »Wo willst du hin, was willst du dir erschaffen als diesen zukünftigen Zustand? Materie verewigen? Willst du in einer Welt, also einem Jenseitszustand aufwachen, wo nur gedacht, diskutiert, seziert, getrennt wird, jeder für sich? Oder willst du an einer Jenseitswelt mitwirken, in der unserem Fühlen, unserem Musizieren, unserem Jubel über die Schöpfung, das heißt auch des Schöpferischen in uns, gehuldigt wird? Mit unseren Lebenswerten erschaffen wir uns unser Jenseits, unsere Zukunft. Du bist zwar Denker, aber doch hauptsächlich Musiker! Du bist Mensch und hast Verantwortung. Das Tier ist unschuldig. Die Natur ist einfach da, aber Geist hat sich zu entscheiden, wem er dienen will, dem Trennenden oder dem Vereinenden, weg von Gott oder hin zu Gott. Gut und Böse sind nur Instrumente der Erkenntnis.« Kontarsky gestand nun zu: »Ja, so kann ich es verstehen und akzeptieren. Es hat mir bisher auch nie ein Gläubiger eine so gute Erklärung gegeben. Du bist, Gott sei’s gelobt, nicht nur gläubig, sondern vor allem ein Denker.« Und das meinte er nicht spöttisch, sondern bekräftigend. Kontarskys Verständnis, seine Toleranz, auch seine genießerische Lebensart und sein Humor machten ihn zu einem wichtigen Freund Stockhausens.
    Dass Stockhausens Tod nicht schon bald nach der Fertigstellung seiner Oper Licht geschah, ist sicherlich wie eine Verzögerung zu sehen. Jahrelang hatte er isoliert gelebt, kaum noch Interviews gegeben, keine Ablenkung zugelassen, kein oder kaum ein Privatleben gehabt. Das Werk musste vollendet werden, noch in diesem Leben: sein Licht -Werk, ein Siebentage zyklus, die Frucht jahrzehntelanger Arbeit. Und sie war fer tiggestellt worden. Mit neunundzwanzig Stunden Spieldauer, verteilt auf sieben Tage, ist es die umfangreichste Oper der Musikgeschichte geworden. Er hatte jedoch bereits ein weiteres Großprojekt in Planung, in Klang wollte er die vierundzwanzig Stunden des Tages vertonen. Doch dessen Vollendung hat er nicht mehr geschafft. Hätte er länger gelebt, wären vielleicht nach den vierundzwanzig Stunden die sechzig Minuten, die dreitausendsechshundert Sekunden dran gewesen … Spannend, sich vorzustellen, was er daraus gemacht hätte.
    Am Tag von Stockhausens Tod wurde eine Installation von mir mit dem Thema Leben und Überleben eröffnet. Ich hatte darin mein Leben anhand von Fotos dokumentiert, von der Jugend über das Alter bis ins Grab. Dazu hatte ich einen Erdhügel
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