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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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ihren Respekt zollen, handwerklich hatte er ihre Hochachtung errungen. Nach tagelangen Proben mit härtester Arbeit verehrten sie ihn, er war nicht mehr der atonale Spinner, er war Musiker, ihresgleichen, nur schien er aus anderen Klangsphären zu schöpfen. Woher kam diese völlig neue Klangwelt? Hörte er sie – oder erfand er sie und brachte etwas bislang nicht Gehörtes zur Welt?
    Manchmal kam er aber auch betroffen nach Hause, wenn er wieder einmal angegriffen worden war. Von den Medien war er das gewohnt, das war ja noch verständlich. Aber von einem Kollegen, dem er doch alles ermöglicht hatte, den er nach der Flucht aus der Heimat in seine Wohnung mit Doris aufgenommen und dem er das Elektronische Studio zur Verfügung gestellt hatte? Von diesem Kollegen nun angegriffen zu werden, das war zu viel. Das schmerzte. Umso mehr brauchte er seinen privaten Raum, seine Schutzzone.
    Ich war manchmal auch enttäuscht und traurig, hatte ich doch in den späten Fünfzigerjahren noch die guten Freundschaften aller Musiker zueinander miterlebt. Man beackerte das gleiche Feld, man half sich, achtete sich, tauschte sich aus. Später fiel der Musikbetrieb immer mehr auseinander. Gottfried Michael Koenig, Mitarbeiter am Elektronischen Studio seit der ersten Stunde, sagte dazu: »Die Medien treiben die Keile.« Und dann spalteten sich die Musiker selbst. Die Anhänger der Maestros bildeten verschiedene Fraktionen, bis es dann eine Cage-Schule, eine Kagel-Schule, eine Stockhausen-Schule gab und so weiter.
    Als John Cage 1964 im Lincoln Center mit den New Yorker Philharmonikern sein Werk Atlas Eclipticalis aufführte,bei dem er die Sternbilder von Himmelskarten in Töne übersetzte, nahmen die Musiker das Werk nicht ernst, sie nutzten den ihnen eingeräumten Interpretationsspielraum nur zum Blödsinn machen, indem sie während der Aufführung zischten und lachten. Nach dem Konzert eilten wir in den Green Room, das Dirigentenzimmer, um Cage Beistand zu leisten. Er und Stockhausen umarmten sich, und Cage jammerte an Stockhausens Schulter: »Ich habe den Musikern Freiheit geschenkt, und was haben sie damit gemacht?« Stockhausen versuchte ihn zu trösten: »John, sie können nicht mit totaler Freiheit umgehen. Du musst ihnen Struktur geben und ein bisschen Freiraum innerhalb dieser Struktur. Vielleicht kommen sie damit zurecht.«
    Wir blieben lange zusammen an jenem Abend. Cage, von vielen seiner Schüler, auch von Malern wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns, sehr geliebt, war beim Hörer, beim breiteren Publikum in seiner Heimat als Musiker noch nicht recht angekommen. Er war in Deutschland bekannter als in den USA , war von Stockhausen in Darmstadt und beim WDR in Köln eingeführt worden und hatte als Lehrer viele Anhänger. Für Paik zum Beispiel war Cages Vortrag in Darmstadt 1958 ein Schlüsselerlebnis, ein Vortrag, in dem es um die Einführung der Indeterminiertheit, also der Unvorherbestimmtheit der Musik ging, die keine ordnende Hierarchie der Töne anerkennt. Diesen Gedanken konnte man auf vieles andere als nur Musik anwenden, er wurde in Darmstadt damals heftig diskutiert. Für Stockhausen war Cage allerdings mehr Philosoph als Musiker. Ihm stand nicht ein Bild vor Augen, um eine Analogie aus meinem Metier zu bemühen. Nicht ein innerlich Gehörtes schwebte ihm vor, das es galt aufs Notenpapier zu bannen. Er dachte und ersann eine Vorgehensweise, zum Beispiel wie ein Klavier zu präparieren sei, um andersartige Töne hervorzubringen.
    Ein Erlebnis mit einem Stockhausen-Kritiker hatten wir einmal in Rom. Wir waren zu einem Konzert geflogen, und man hatte uns einen Fahrer zum Flughafen geschickt, der uns in die Innenstadt bringen sollte. Stockhausen traute seinen Augen nicht: Unser Fahrer war ein Komponist, ein ehemaliger Schüler von ihm, der vor einiger Zeit einen bitterbösen Artikel gegen ihn in einer Musikzeitschrift veröffentlicht hatte. Stockhausen fuhr den jungen Mann an: »Sagen Sie mal, Sie wagen es nach solch einer Attacke gegen mich, uns abzuholen? Sie trauen sich noch ohne schlechtes Gewissen unter meine Augen?«
    Da lenkte der Schüler das Auto in eine Haltebucht, stoppte, sah Stockhausen an und erklärte sein Verhalten: Man müsse sich als Stockhausen-Schüler vom Meister distanzieren, sonst würde einem alles, was man tue, nur als Epigonentum ausgelegt. Man habe nur eine Chance, wenn man sich mit dem Gegenlager verbinde, nur dann werde man ernst genommen. Alles, aber auch alles, was die Schüler sich
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