Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
Vom Netzwerk:
Damals war es der musikalische Sonnenaufgang. Alles und jedes war Klang. Alles und jedes hatte seine schwingende Eigenart. Und in der Mischung all dieser verschiedenen Töne war kein Missklang, auch kein »musikalischer Matsch«, wie Stockhausen Unklares, Dilettantisches nannte. Alles hatte seinen Platz, seine Berechtigung, konnte sich entfalten als Individuelles und war doch im Gesamten enthalten.
    So erlebten wir auch jetzt das gemeinsame Klingen als großen Akkord, gespeist aus uns allen, doch entzündet von einer höheren Instanz. Stockhausen trug dabei gewissermaßen den musikalischen Funken von Fackel zu Fackel. Das war es wohl, was er »Dienst an Gott« nannte, dieser Instanz, auf die er sich bei allem, was er tat, bezog. Ob er liebte, musizierte, dirigierte oder dichtete – bei allem empfand er sich als Diener des Schöpfers. Alle Kunst hatte für ihn diesen geistig-geistlichen Ursprung aufzuzeigen, sonst war sie für ihn keine Kunst.
    Meine Spiritualität war etwas anders als seine. Auch ich postulierte zwar hinter jedem Materiellen ein geistiges Prinzip, aber eher im pantheistischen Sinn, während es für Stockhausen wie eine persönliche Beziehung war. Der Schöpfer war für ihn als Gegenüber ansprechbar und bejubelbar.
    Wir sitzen gemeinsam, noch im Einklang mit allem, erfüllt von diesem Seid-umschlungen-Millionen-Gefühl. Stockhausennimmt alles mit hinein, er möchte die ganze Menschheit musikalisch erlösen, seine Musik soll die Christustat wiederholen. Er möchte Erlösung nicht mehr durchs Kreuz, nicht mehr durch den Leidensweg, sondern durch die Überwindung von Schmerzen hin zur Freude erreichen. Jubelt dem Herrn! Karlheinz Stockhausens Lebenswerk ist dieser Weg der Freude.
    Wir blicken uns an und entlassen uns aus dieser gemeinsamen Vision. Werden wieder Einzelwesen. Und ich wache auf aus meinem Traum. In ihm mischte sich Erlebtes und Erhofftes, Vergangenheit und Zukunftsvision. Mein Anliegen hier ist es, mit Worten das in jenem Zauberberg der Musik Liegende zu beschwören, so, dass es sich uns entschlüsseln möge, unsere Zunge lösen möge, auch wenn wir keine Musiker sind.
    Erinnerungen: Stockhausen selbst hat in Diskussionen, manchmal auch in Streitgesprächen, oft den Versuch abge brochen, der Sache mit Worten beizukommen, er sagte dann: »Übersetzen wir das Ganze doch einmal in Musik.« Oder er ging einfach fort aus dem Gespräch oder der Streitrunde, hin zum Komponiertisch, an ein Pult oder eine andere Unterlage und schrieb Noten auf, machte sich Notizen.
    In seinen Vorträgen als Lehrer war er jedoch äußerst sprachgewandt. Wenn er zu geben hatte, fehlten ihm nie die Worte. Er beschenkte seine Schüler mit allem, was er wusste, auch mit für ihn selbst gerade erst Neuentdecktem. Nichts hielt er zurück. Allen, die bereit waren, sich ganz der Musik zu widmen, mit Haut und Haar, schenkte er sich auch selber ganz, mit Haut und Haar. Bis spät in die Nacht ging es oft, wenn er seine Schüler mit nach Hause brachte. Er half ihnen auf die Sprünge – nicht auf seine, sondern auf ihre eigenen. Er erkannte schnell das Besondere des jeweiligen Schülers und machte ihn bestärkend darauf aufmerksam: »Seien Sie mutiger mit dieser Idee, denken Sie sie zu Ende.« Es fehlten ihm nie die Worte, um seinen Enthusiasmus auf die Schüler zu übertragen.
    Wenn er aber angegriffen wurde, verstand er das zunächst gar nicht, denn er sah sich ja immer als Vertreter der Musik, und wie konnte man die angreifen? Menschen, die nur um des Streitens willen stritten, ging er aus dem Weg, ließ sie regelrecht im Regen stehen mit ihren Attacken, das lag ihm nicht.
    Doch dem musikalisch gänzlich Ungebildeten oder dem, der mit der Avantgardemusik noch nichts anfangen konnte, widmete er sich wieder mit größter Geduld. Dann sprach er von Hörgewohnheiten und davon, dass Übung nötig sei, um sich in diese neuen Klangwelten einzugewöhnen, dass diese Übung aber lohne, denn auch die Musik strebe in eine Zukunft, die uns zu sich zöge. Die Evolution zum Menschwerden hin, das sei ja ein Prozess, an dem die Kunst und vor allem die Musik – denn sie erreiche uns unmittelbar über die Zellen unseres Körpers – maßgeblich beteiligt sei. »Öffnen Sie sich dem, was die Künstler aus dem geistigen Raum in die Wirklichkeit, in das uns Wahrnehmbare herunterbringen oder heraufholen aus den tieferen Schichten des noch Unbewussten. Lassen Sie es zu, es wird Sie in ganz neue Räume und Erfahrungen bringen. Ja, und gerade
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher