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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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wenn Sie Atheist sind – ich spüre ja Ihren Einwand –, dann hält Ihnen die Musik immerhin eine Tür offen zu einem Bereich, der jenseits von Fressen und Saufen ist, der mehr ist als unser Tiersein.« Eine Evolution vom Tier zum Engel, das sei unsere Aufgabe. Tier und Engel, beide im Einklang mit der Schöpfung, nehmen in ihr einen festen, vorbestimmten Platz ein. Wir als Menschen könnten mit freiem Willen der Evolution hin zum Engel dienen, und da sei Musik eben die Sprache der Zukunft. Worte seien dann nicht mehr nötig.
    Stockhausen konnte seine Schüler mitreißen. Sie wurden eifrig, beobachteten ja auch an ihm ein gewaltiges Arbeitspensum. Er spornte sie an: »Große und kleine Künstler kann man so unterscheiden: Der große ist permanent gut, der kleine manchmal – also los, an die Arbeit!« Nur wer sich mit äußerstem Fleiß seiner Aufgabe widmet, kann hoffen, ein Meisterwerk zu schaffen, es muss errungen und, wenn es vom Komponiertisch zu den Notenpulten gewandert ist, ja auch erst noch mit den Interpreten einstudiert werden. Das bedurfte oft tagelanger Proben, Ausdauer war gefordert.
    Vor Stockhausens Arbeit ergreift mich immer wieder tiefe Ehrfurcht, vor der Kraft, die er dabei einzusetzen vermochte. Wenn er in Höchstform war, ließ er manchmal die Orchesterprobe abbrechen mit den Worten: »Ihr seid alle großartig. Lasst uns nun die Energie für die Vorführung aufsparen. Heute Abend wird es noch besser werden.« So auch einmal in der Carnegie Hall. Die amerikanischen Musiker konnten seine Partituren schneller erarbeiten als die europäischen. Im Gegensatz zu den mehr oder weniger verbeamteten Musikern hier mit ihrem geregelten Einkommen mussten die amerikanischen oft von Job zu Job hetzen, vom Sinfonieorchester zur Oper, von irgendeinem Festakt zum Jazzkonzert, um sich über Wasser zu halten. Ein Oboist zeigte uns einmal seine prall gefüllte Aktentasche mit den Noten für den Tag. Bei den Proben und Auftritten, die er an einem einzigen Tag zu absolvieren hatte, musste er ein Meister im Notenlesen sein und sich jedes Mal auf das Geforderte neu einstimmen.
    Stockhausen war sehr an diesen Musikern interessiert. Er hatte zunächst geglaubt, dass der ständig wechselnde Stil des Spielens die Interpreten verderben würde für die Avantgardemusik, doch er musste schließlich das Virtuosentum und die Vielseitigkeit der amerikanischen Instrumentalisten anerkennen. Er wusste im Übrigen aus Erfahrung, in einem Orchester waren zumindest einige wirklich engagierte Musiker nötig, um den Dirigenten beim Einstudieren schwieriger Passagen zu unterstützen.
    Wenn es dann zur Uraufführung eines mit viel Mühe erarbeiteten Werkes kam, war Stockhausen stets in feierlichster Stim mung. Ja, er wollte ein Geschenk überbringen, ein Geschenk Gottes, er selbst war nur sein Werkzeug. Stockhausen war ein exzellenter Dirigent. Oft saß ich im Publikum und sah ihn und seine Bewegungen von hinten: zart oder wild, fortissimo, pianissimo, das Orchester folgte ihm, er hatte es gebannt. Er formte den Gesang der Chöre, immer darauf bedacht, den Klangkör pern, ob nun Mensch oder Instrument, das Äußerste zu ent locken. »Ich muss die Musiker anzünden. Das muss schon am Anfang gelingen, damit sie mir folgen. Die Partitur ist nur die eine Sache, die muss natürlich sitzen durch gründlichstes Proben, doch dann kommt erst das Wichtigste: Das Geprobte muss in einen Guss gebracht werden.«
    Bei der Generalprobe zu Gruppen in Köln hatte ich mich in den dunklen Hintergrund des Orchesterraums gesetzt, ihm gegenüber. Von dort erlebte ich ihn noch stärker, sah sein Gesicht, seine Augen, seine bis zum Äußersten gespannte Aufmerksamkeit – jeder der drei im Raum verteilten Gruppen folgend. Er dirigierte sich regelrecht in Ekstase, riss die Musiker mit hinein in seinen Rausch, wirkte wie in Trance, doch auf einmal ließ er anhalten, deutete auf die zweite Violine und rief in das abebbende Orchesterspiel hinein: »Gis, nicht G!«
    Es gab zunächst Gelächter, dann aber ein Nicken des Vio linisten und staunende Bewunderung, die dem Ohr des Ma estros galt. Ja, der wusste, was er wollte, was er hören wollte, auch wenn es den ausführenden Musikern noch nicht klar war. Es war zwar intellektuell verstanden, doch ihrem gewohnten musikalischen Empfinden zuweilen noch fremd. Die Orchestermusiker waren ja anderes gewohnt, Stockhausens Werke waren ihnen oft Rätsel. Aber ob sie sie nun mochten oder nicht, seiner Musikalität mussten sie
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