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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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verängstigt bei ihr Schutz suchte, und bei der ich auch Verständnis fand. Es war in der Zeit, als wir mit sehr ehrlichen Gefühlen füreinander das »Dennoch« der Dreierehe lebten.
    Sie war die Älteste von uns dreien. Karlheinz und Doris nannten einander »Heika« und »Dodi«, ich war »Maka« für ihn, er für mich »Kama«. Doris ihrerseits nannte mich anfangs »Zöpfli«. Nur wenn es ein ernstes Wort mit ihm zu reden gab, sprachen wir Stockhausen mit »Karlheinz« an.
    Etwas, das Stockhausen gelegentlich an Doris kritisierte, war ihre Genauigkeit. Er schätzte diese Eigenschaft im Allgemeinen zwar sehr, wenn sie ihn jedoch verbesserte, während er etwas erzählte, konnte ihn das sehr ärgern. Meist ging es nur um Unbedeutendes, es konnte aber auch so weit gehen, dass sie ihn schlicht der Unwahrheit bezichtigte. Dazu muss man freilich bedenken, dass sie, die fünf Jahre Ältere mit urban-gehobenem familiärem Hintergrund, den einundzwanzigjährigen Freund, der zwei Jahre darauf ihr Ehemann wurde, sicher erst einmal etwas hatte »erziehen« müssen, vom zwar hochbegabten, aber noch ungeschliffenen Landjungen zum gesellschaftsfähigen Mann.
    Ich lernte daraus, Kritik an ihm nie vor anderen zu üben. Ich notierte mir manchmal Einwände zu Äußerungen von ihm, wartete aber auf einen ruhigen und geeigneten Zeitpunkt, um sie zu besprechen. Stockhausen war ein guter Geschichtenerzähler, dabei übertrieb er sicher gelegentlich auch einmal etwas, um den Bericht farbiger zu gestalten. Unterbrach und verbesserte man ihn dann, konnte er jedoch fuchsteufelswild werden.
    Stockhausen war ein Mensch starker Gefühle. In den Fünfzigerjahren hatte er seinem Komponistenfreund Goeyvaerts einmal gestanden, er fühle sich manchmal dem Wahnsinn nahe. Wenn ihm ein Verlassenwerden drohte, konnte ihn die Verzweiflung darüber – auch wenn es nur eine bloße Vorstellung gewesen war – zu extremen Reaktionen hinreißen. Zum Glück hatte er aber auch das Talent, gelegentlich über sich selbst zu lachen. Manchmal schlug sogar heftiges Weinen bei ihm auf einmal in Gelächter um. Dann hatte er das ihn bedrückende Gefühl einfach abgespalten, er stand wie neben sich, sah sich selbst von außen.
    Der Tod von Stockhausen im Jahr 2007 kam so unvorhergesehen für uns alle, dass er zunächst einige Turbulenzen in unserer Großfamilie auslöste. Wir realisierten, dass es jedem von uns täglich passieren kann, unvorbereitet von Gevatter Tod einberufen zu werden. Man hofft natürlich, es möge unseren Vorstellungen entsprechend geschehen. Sanft? Bewusst? Oder kämpferisch für ein Ideal sein Leben lassend? Oder einfach, weil die Arbeit auf Erden vollendet ist.
    Bei ihm soll es sehr schnell und bewusst geschehen sein, das hat mir Suzanne am Telefon kurz danach berichtet. Er hatte Probleme mit der Lunge, konnte nicht frei atmen und hustete seit zwei Wochen. Am Abend vor seinem Tod korrigierte er mit Kathinka noch das Auftragswerk zu seinem bevorstehenden achtzigsten Geburtstag im August 2008 und machte es versandfertig. Für den nächsten Morgen stand die Auslieferung der endgültig fertiggestellten Partitur der letzten Version von Momente an. Von diesem Werk, an dem er seit 1962 gearbeitet hat, gibt es viele Zwischenfassungen – die Urfassung hatte er damals mir gewidmet.
    Suzanne berichtete mir, er habe nachts dann auf einmal überall Düfte verteilen wollen. Dann sei er aufgestanden und habe die Arme ausgebreitet mit den Worten: »Jetzt habe ich eine ganz andere Art zu atmen.« Er habe wie entrückt in einen fernen Raum geblickt und mit den Worten »Eine ganz neue Welt fängt an« sei er zusammengebrochen. Es war der 5. Dezember, der Todestag Mozarts.
    Was mag Stockhausen wohl in seinen letzten Momenten geschaut haben? Er hatte sich ja mit dem Thema des Todes immer wieder auseinandergesetzt, hatte mit engen Freunden viel darüber diskutiert. Nachdenklich gestimmt hatte ihn einmal Pierre Boulez, der der Ansicht war, der Tod sei unwiderruflich, nicht wiedergutzumachen und nicht wiederholbar. Er sei für ihn etwas so Wichtiges, Entscheidendes, dass man ihn nicht dem Zufall überlassen dürfe, weder den Zeitpunkt noch die Art des Sterbens. Boulez forderte, man müsse dafür Sorge tragen, dass man nicht von einer unerwünschten Krankheit getroffen werde oder von einem Unfall; über den eigenen Tod solle selbst entschieden werden. Er müsse Sache des eigenen Willens sein und nichts Fremdbestimmtes. Stockhausen stimmte Boulez zwar darin zu, dass
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