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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
Autoren: Mary Bauermeister
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aufgeschüttet, die Fotos hineingesteckt und vier Grabsteine darum herumgelegt, auf denen gemeißelt stand: »Hier ruht in Eile …« An diesem Tag fühlte ich mich seltsam abwesend, als spürte ich, was mit ihm geschehen würde.
    Am 23. August 2008, neun Monate später, fand im Kölnischen Kunstverein ein Gedenkkonzert zu Stockhausens achtzigstem Geburtstag statt. Viele seiner Schüler und Kollegen sollten einen Beitrag leisten, ebenso zahlreiche Freunde wie der Schriftsteller Hans G Helms. Auch ich war gebeten worden, etwas vorzutragen. Ich hatte eingewilligt, mit meinem Echorohr eine Art Sprechhommage an Stockhausen darzubieten. Zwei Monate nach dieser Zusage hatte ich jedoch einen Schlaganfall, bei dem es mir buchstäblich die Sprache verschlug. Ich wollte es trotzdem wagen und bat die Flötistin Camilla Hoitenga, mir beizustehen. Ihr wollte ich, sollte ich hängen bleiben, jeweils ein Zeichen zum Ein satz für eine zwischengeschobene Flötenimprovisation geben, so dass ich Zeit gewinnen konnte zum Wiederfinden meiner Sprache. Sie war einverstanden, gab mir aber noch die Mahnung mit: »Pass auf, was du heute Abend sagst, alle Frauen von Stockhausen werden da sein mit allen Kindern und Enkeln.«
    Das, was ich sagen und singen wollte, hätte keinen aus der Familie beleidigen können, dennoch nahm ich den Rat ernst. Dadurch erschien es mir auch nicht ganz so sonderbar, dass mir Stockhausen kurz darauf sozusagen aus dem Jenseits einen Auftrag erteilte: Ich war nach der Probe mit Hans G Helms auf die Kölner Ehrenstraße gegangen, um eine Suppe zu essen. Auf dem Rückweg kamen wir an einem Blumenwagen vorbei, und auf einmal hörte ich jemanden sagen: »Kauf Blumen für die Frauen.« Ich erschrak. Helms hatte mir diesen Auftrag nicht erteilt, er kam direkt von Karlheinz, auf Kölsch, mitten auf der Ehrenstraße. Ich nahm die Bitte ernst und kaufte einundzwanzig rote, dreizehn gelbe und acht weiße Rosen.
    Am Abend, als ich meinen Vortrag beendet hatte, erfolgreich und mit viel Lachen aus dem Publikum, ergriff ich auf der Bühne nochmals das Wort: »Nun möchte ich drei Menschen ehren, ohne die das Werk Stockhausens niemals das geworden wäre, was es ist. Die erste ist Doris Stockhausen.« Es gab tosenden Beifall. Doris wurde geliebt, von allen Musikern und Musikliebhabern. Sie kam nach vorn, und ein Freund unserer Familie überreichte ihr galant die einundzwanzig roten Rosen. Dann ehrte ich Suzanne, sie empfing dreizehn gelbe Rosen. Schließlich erhielt Kathinka ihre acht weißen Rosen, und ich sagte: »Ich wünsche den beiden Frauen, die jetzt die Stiftung leiten, wir alle wünschen ihnen, dass sie mit viel Energie so wie bisher das Werk von Karlheinz Stockhausen weiterführen. Die Anzahl der Rosen bezieht sich nicht auf die Hierarchie eurer Bedeutung, sondern auf die Fibonacci-Folge, nach der Stockhausen immer wieder komponierte. Dabei entsteht die jeweils folgende Zahl durch Addition der beiden vorhergehenden: Es waren acht, dreizehn, einundzwanzig Rosen.« Ich hatte mir das alles nicht ausgedacht, mir schien eher, dass ich zu Stockhausens Werkzeug wurde. An jenem Abend ging ich beglückt nach Hause.
    Dass seine beiden letzten Frauen Suzanne Stephens und Kathinka Pasveer eine erneute ménage à trois mit ihm in Kür ten so gut zu leben vermochten, liegt sicher daran, dass sie beide Musikerinnen sind und dass sie keine Kinder haben. Sie betrachteten Stockhausen nicht nur als ihren Mann, sondern vor allem auch als ihren musikalischen Meister. Sie dienten seinem Werk mit großer Hingabe und ermöglichten ihm den inneren Ruheraum, den er zum Komponieren brauchte, indem sie sich um alles kümmerten, was bedacht sein wollte, und ihn abschirmten. Stockhausen brauchte eine Schutzzone, und die schufen sie ihm. Mit ihm Musik machen zu dürfen war für sie ein solches Privileg, dass alles andere unwichtig wurde.
    Ja, Jill Purce hatte recht gehabt, als sie einmal sagte, Stockhausen liebe sie alle um ihrer selbst willen, aber vor allem um der Musik willen, der sie gedient hatten und noch dienen würden. Vermutlich hatte sie auch recht damit gehabt, dass Stockhausen am liebsten alle seine Frauen unter einem Dach wie in einem Harem um sich versammelt hätte. Als wir auf einer unserer Asienreisen einmal in Istanbul einen ehemaligen Harem besuchten, erschien mir die Vorstellung, in einem zu leben, als gar nicht so abschreckend. Zumindest war dort jeder Frau gleich klar, dass sie in eine Gruppe hineinheiratete. Für Karlheinz wäre
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