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Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg

Titel: Ich habe Jakobs Arsch geküsst: Von Pilgern und Bettwanzen: 800 Kilometer unterwegs auf dem Jakobsweg
Autoren: Peter Messner
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befestigt und diesen zur Abholung bereitstellt. Am Ziel kann man dann nachmittags sein Gepäck in einer Vertragsherberge wieder in Empfang nehmen. Ein nettes Geschäft: 20 Rucksäcke à acht Euro für 20 Kilometer Fahrt.
    Ich werde in den nächsten Wochen viele Mitwanderer erleben, die den Service dankend annehmen, ja annehmen müssen. Es sind zwei Hauptgründe, die auch aufrechte Pilger zum Gepäcktransport zwingen: Entweder haben sie anfangs einfach zu viel dabei, oder sie sind phasenweise durch Blasen, Verletzungen oder Krankheiten nur noch eingeschränkt leistungsfähig. Dazu kommen natürlich auch Fake-Pilger, die bewusst und ohne Not nur mit Tagesgepäck spazieren. Das nimmt vor allem auf den letzten 100 Kilometern erheblich zu. Diese Camino-Touristen sind nicht gerade herzerfrischend anzuschauen, wenn man beladen und mit hunderten Kilometern in den Beinen von ihnen fröhlich schwatzend überholt wird.
    Martin hat heute morgen gleich zwei Probleme neben der Fußwanderung zu bewältigen: Er hat insgesamt viel zu viele 17 Kilo im Rucksack - und er kann kaum laufen. Das Gepäck rollt heute und durch den Rest beißt er sich durch - und klebt vielePflaster auf seine Blasen. Aber auch ich bin dankbar für das gebremste Tempo. Mit meinen lahmen Beinen möchte ich gar nicht schneller gehen. Ich bin hier ja nicht auf der Flucht. Wir wandern langsam zusammen und übertrumpfen uns in Erinnerungen an 80er-Jahre-Fernsehserien. Aber auch Magnum, Kojak und Co. täuschen nicht darüber hinweg: Meine Füße und mein Rücken tun weh, im Rahmen des Erlaubten. Martin leidet tapfer. Die Etappe führt durch eine grüne Mittelgebirgslandschaft mit Buchenwäldern. Wir sind um halb zwei am Ziel und finden für 25 Euro Einzelzimmer mit gemeinsamem Bad in einer Pension. Hier werde ich ohne durstige Spanier und nachts vor sich hin murmelnde Mitschnarcher gut schlafen.
    Die öffentliche Herberge im Dorf ist eine ausgeprägte Schlafsaal-Katastrophe, wie bereits ein kurzer Blick zeigt: Keine alten Klostermauern, sondern eine hässliche Betonbaracke. Lasst uns hier übernachten und der Weltfriede gerät in Gefahr! Martin holt nur seinen Rucksack ab. Mehr nicht. Dicht an dicht stehen abgewetzte Metallstockbetten in zwei großen, heruntergekommenen Räumen der Baracke. Hier werden Pilger für jeweils eine Nacht gelagert. Keine sauberen Bezüge zu erkennen. Das Waschhaus steht im Hof. Wir lehnen dankend ab. „Je mehr Verzicht, desto mehr bekommt man zurück“, heißt einer der platten Caminosprüche mit pseudo-spiritueller Anmutung. Wenn das stimmt,werden die Gäste dieser Einrichtung morgen früh mit vergoldeten Hintern aufwachen.
    In der besten Open-Air-Bar des Dorfes sitzen wir später mit einem Finnen und zwei Damen aus England und Irland gemütlich bei 25 Grad und zwei, drei Bier beim Smalltalk. Es gibt kaum Deutsche und ich muss mich mehr und mehr ins Englische reinarbeiten. Schon um sieben Uhr gibt es Pilgermenü für uns ausgehungerte Wanderer -Glück gehabt.
    Das sogenannte Pilgermenü, auf das wir nun allnachmittäglich hinhungern, ist eine Institution des Jakobsweges und staatlich zertifiziert, wie einer gestempelten Urkunde im Restaurant zu entnehmen ist. Im Standardprogramm handelt es sich um Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch. In den erstaunlich günstigen rund zehn Euro Gesamtpreis sind auch noch reichlich Wein und Wasser enthalten. Bei dem Preis kann man grundsätzlich nichts sagen. Allerdings schwankt die Qualität des Essens von Koch zu Koch und Küche zu Küche zwischen den Schulnoten eins und sechs. Satt wird man immer und manchmal ist es sogar ein Genuss. Durchschnittlich bekommt man auf jeden Fall genug Kalorien, um die Folgen der Fernwanderung im Körper wieder ausgleichen zu können. Immerhin leistet der Pilger täglich Schwerarbeit und möchte nicht zusehen, wie er selbst immer weniger wird, während das Gepäck gleichzeitig sein Gewicht mühelos hält. Der Camino ist indieser Kombination in der Lage, mitgebrachte Probleme und persönliche Lasten mühelos zu vervielfachen.
    Zum gemütlichen Tagesabschluss sitzen wir beim Pilgermenü zusammen. Ein paar Wasser und Bier weiter gibt es draußen ein Gewitter. Am Ende sitzen Video-Künstlerin Lauren aus London (groß, tätowiert und gewaltig trinkfest) und ich mit einem weiteren Londoner und einer Spanierin da. Alle stellen fest, dass sie noch keinen religiösen Pilger gesprochen haben. Das ist ja auch out, glaube ich. Wer sich für übersinnliche Wahrnehmungen
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