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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman
Autoren: Lawrence Hill
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Schriftstücken zurück. Lesen und Schreiben zu
lernen, sei nichts für Mädchen, sagte er, gab aber nach, als er sah, wie ich
versuchte, mit einem Stock arabische Worte in den Sand zu schreiben. So zeigte
er mir denn zu Hause in unserer Hütte, wie man mit einem Schilfrohr, gefärbtem
Wasser und Pergament umging. Nur meine Mutter erfuhr davon. Ich lernte, Sätze
auf Arabisch zu schreiben, zum Beispiel Allahu Akbar (Gott ist groß) oder La ilaha illa Allah (Es gibt keinen Gott außer Gott).
    Immer wenn wir zwei
allein waren, sprach Mama ihr heimisches Bambara, sie hatte aber auch viel
Fulfulde gelernt, und von Papa einige Gebete. Manchmal sah ich, wie sich eine
Schar Fulbe-Frauen mit den Ellbogen anstieß und gegenseitig aufzog, wenn Mama
sich vorbeugte und mit einem angespitzten Stock Al-hamdu
li-llah (Gelobet sei Gott)
in die Erde kratzte, um den Dorffrauen zu beweisen, dass sie einige arabische
Gebete gelernt hatte. Nicht weit davon zerstießen Frauen Hirse. Sie taten das
mit schweren hölzernen Stößeln, groß wie Menschenbeine, glatt wie Babyhaut und
hart wie Stein. Wenn sie diese Stößel in die Mörser fahren ließen, klang es,
als begleiteten Trommler ein Lied. Zwischendurch legten sie Pausen ein, um
Wasser zu trinken und ihre schwieligen Hände zu betrachten, während Mama die
Worte wiederholte, die sie von Papa gelernt hatte.
    Als ich kam, hatte Mama
im Dorf längst Achtung gewonnen. Wie die anderen Frauen auch säte sie Mais und
Hirse und sammelte Sheanüsse. Sie trocknete die Nüsse in einem holzbeheizten
Ofen und zerstieß sie in ihrem Mörser, um Öl daraus zu gewinnen. Das meiste
davon behielt sie für uns, aber etwas stellte sie zur Seite. Damit half sie den
Frauen bei der Geburt ihrer Babys. Mama war sehr gefragt, wenn eine Frau ein
Kind zur Welt brachte. Einmal half sie sogar einem Esel, dessen Fohlen nicht
kommen wollte. Sie hatte ein friedvolles Lächeln, wenn sie glücklich war und
sich sicher fühlte. Seit ich ihr entrissen wurde, habe ich jeden Tag an dieses
Lächeln gedacht.
    Ich weigerte mich
zunächst, das Licht der Welt zu erblicken. Papa sagte, ich hätte meine Mutter
dafür bestraft, mich zu empfangen. Endlich rief Mama nach Papa.
    »Sprich mit deinem
Kind«, sagte sie, »ich werde langsam müde.«
    Papa legte die Hand auf
Mamas Bauch. Er ging mit dem Mund nahe an ihren Nabel, der wie eine blütenlose
Tulpe daraus hervordrängte.
    »Mein Sohn«, sagte
Papa.
    »Du weißt nicht, ob wir
einen Sohn darin haben«, sagte Mama.
    »Wenn du dir noch mehr
Zeit lässt, stehen wir am Ende vielleicht sogar mit einer Ziege da«, sagte
Papa. »Aber du hast mich gebeten, etwas zu sagen, und ich denke an einen Sohn.
Also, lieber Sohn, komm da jetzt raus. Du hast es dir gut gehen lassen, hast
geschlafen und dich an deine Mutter geklammert. Komm da jetzt raus oder es
setzt was.«
    Papa behauptete, dass
ich ihm aus dem Bauch geantwortet hätte.
    »Ich bin kein Junge«,
hätte ich gesagt, »und bevor ich herauskomme, müssen wir reden.«
    »Dann rede.«
    »Um herauszukommen,
brauche ich heiße Maiskuchen, eine Kalebasse frische Milch und ein schönes
Getränk, das die Ungläubigen aus einem Baum zapfen …«
    »Keinen Palmwein«, unterbrach
mich mein Vater. »Nicht für jemanden, der Allah fürchtet. Aber die Kuchen will
ich dir bringen, wenn du Zähne hast, und Mama sorgt für die Milch. Und wenn du
brav bist, gebe ich dir eines Tages eine bittere Kolanuss. Allah hat nichts
gegen Kolanüsse.«
    Und so kam ich heraus.
Ich glitt aus meiner Mutter wie ein Otter vom Flussufer.
    Als kleines
Kind trug mich meine Mutter auf dem Rücken. Sie holte mich nach vorn, wenn ich
hungrig war, und reichte mich unter den Frauen des Dorfes herum, aber für gewöhnlich
war ich in ihren rot-orangenen Stoff gewickelt und hing tief hinten auf ihrem
Rücken, ob sie nun zum Markt ging, Hirse zu Mehl stampfte, Wasser vom Brunnen
holte oder Frauen beim Gebären half. Ich weiß noch, wie ich mich wunderte, als
ich mit ein, zwei Jahren zu laufen begann, warum nur die Männer dasaßen, Tee
tranken und sich unterhielten, während die Frauen immer zu tun hatten. Ich kam
zu dem Schluss, dass Männer schwach waren und ausruhen mussten.
    Sobald ich laufen
konnte, machte ich mich nützlich. Ich sammelte Sheanüsse und kletterte auf
Bäume, um Mangos, Avocados, Orangen und andere Früchte zu pflücken. Ich musste
die Babys anderer Frauen halten und dafür sorgen, dass sie zufrieden waren. Es
war durchaus in Ordnung, wenn ein Mädchen, das
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