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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman
Autoren: Lawrence Hill
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der Nase
heran. In der Kanne schwammen frische Pfefferminzblätter, und ihr Duft schien
von fernen Orten zu berichten.
    »Hmm«, sagte ich und
atmete ihn ein.
    »Wenn du die Augen
schließt«, sagte Papa, »kannst du den Weg bis nach Timbuktu riechen.«
    Meine Mutter legte mir
eine Hand auf die Schulter, atmete den Duft ebenfalls ein und seufzte.
    Ich fragte Papa, wo
genau Timbuktu liege. Weit weg, sagte er. War er schon einmal da gewesen? Ja,
sagte er, einmal. Timbuktu liege am mächtigen Joliba-Fluss, und er habe die
Reise unternommen, um zu beten, zu lernen und seinen Geist zu verfeinern, was
jeder Gläubige tun solle. Das ließ in mir den Wunsch entstehen, auch meinen
Geist zu verfeinern. Etwa die Hälfte der Bewohner Bayos waren Muslime, aber
Papa war der Einzige, der einen Koran besaß und lesen und schreiben konnte. Ich
wollte wissen, wie breit der Joliba war. Konnte man ihn überqueren wie die
Wasserläufe bei Bayo? Nein, sagte Papa, der Joliba sei zehnmal so breit, wie
ein Mann einen Stein werfen könne. So einen Fluss vermochte ich mir nicht
vorzustellen.
    Als der Tee stark genug
und mit dem Geschenk der Bienen gesüßt war, hob Papa die Kanne weit in die Höhe
und goss die heiße Flüssigkeit in eine kleine Kalebasse für mich, in eine für
Mutter und in eine für sich. Er verschüttete nicht einen Tropfen, stellte die
Kanne zurück auf die Glut und warnte mich, ich solle den Tee erst abkühlen
lassen.
    Ich schloss die Hände
um die warme Kalebasse und sagte: »Erzähl noch mal, wie ihr, du und Mama, euch
kennengelernt habt, Papa.«
    Ich liebte die
Geschichte, wie die beiden eigentlich nie aneinander hätten Gefallen finden
sollen, Mama eine Bambara und Papa ein Fulbe. Ich liebte es, wie die Geschichte
dem Unmöglichen trotzte. Die beiden hätten sich nie kennenlernen, geschweige
denn eine Familie gründen sollen.
    »Es war reines Glück«,
sagte Papa, »sonst wärst du nie geboren worden.«
    Nur eine
Regenzeit vor meiner Geburt war Papa mit einigen anderen Fulbe-Männern aus Bayo
aufgebrochen. Sie waren fünf Sonnen unterwegs, um ihre Sheabutter auf einem
fernen Markt gegen Salz einzutauschen. Auf dem Nachhauseweg schenkten sie dem
Häuptling eines gastfreundlichen Bambara-Dorfes ein kleines Säckchen Salz. Der
Häuptling lud sie zum Essen, Ausruhen und Übernachten ein, und während sie beim
Essen saßen, sah Papa Mama vorbeigehen. Sie trug eine Schale mit drei
Süßkartoffeln und einer Kalebasse Ziegenmilch auf dem Kopf. Papa bewunderte
ihren weichen Gang, den aufrechten Kopf, das gehobene Kinn und die Rundung
ihres Rückens, die langen starken Beine und die rotgefärbten Fersen.
    »Sie wirkte ernst und
verlässlich. Mit ihr war eindeutig nicht zu spaßen«, sagte Papa. »Ich wusste
sofort, dass sie meine Frau werden würde.«
    Mama nippte an ihrem
Tee und lachte. »Ich hatte zu tun«, sagte sie, »und dein Vater war mir im Weg.
Ich wollte zu einer Frau, die ein Baby bekam.«
    Mama selbst hatte noch
keine Kinder, aber schon viele Babys mit auf die Welt gebracht. Papa besuchte
Mamas Vater und fragte nach ihr. Er erfuhr, dass Mamas erster Mann vor vielen
Monden verschwunden war, kurz nachdem sie geheiratet hatten. Die Leute nahmen
an, dass er entweder tot oder verschleppt worden war. Papas Frau war kurz zuvor
an einem Fieber gestorben. Er war schon vor seiner und ihrer Geburt mit ihr
verlobt worden.
    Mama wurde geholt, um
Papa zu sehen. Dafür musste sie die Frau allein lassen, die das Baby bekam, und
das sagte sie ihm. Papa lächelte und sah die Muskeln hinten in ihren Beinen,
als sie zurück zu ihrer Arbeit ging. Die Verhandlungen darüber, wie er Mamas
Vater für den Verlust seiner Tochter entschädigen würde, gingen weiter. Am Ende
einigten sie sich auf sechs Ziegen, sieben Eisenbarren, zehn Kupfer-Manillas
und vierhundert aufgereihte Kaurischnecken.
    Es waren unruhige
Zeiten, und ohne all die Wirren wäre eine Hochzeit zwischen einer Bambara und
einem Fulbe nie erlaubt worden. Menschen verschwanden, und die Leute in den
Dörfern waren so besorgt, Menschenhändlern in die Hände zu fallen, dass sie
Verbindungen zu ihren Nachbarn knüpften. Jäger und Fischer taten sich zu
größeren Gruppen zusammen, und die Männer verbrachten Tage damit, Mauern um
Städte und Dörfer zu bauen.
    Papa brachte Mama nach
Bayo. Er machte Schmuck aus feinen Gold- und Silberstreifen und reiste viel, um
ihn auf Märkten anzubieten und in Moscheen zu beten. Manchmal kam er mit dem
Koran oder anderen arabischen
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